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Urban Priols Jahresrückblick „Tilt!“: Wie immer mit garstigen Spitzen gespickt

„Frisch ans Werk“, scheint sich der Struwwelkopf im irisierend bunten Hemd zu denken, als er sich die Hände reibend auf die Bühne begibt – das obligatorische Weißbier in der Hand: Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und somit ist es wieder Zeit für einen mit garstigen Spitzen gespickten Rückblick von und mit Urban Priol.

Der Mainfranke kann wieder einmal aus dem Vollen schöpfen: Vom Bahnstreik mit „Mehdorn, dem Rumsfeld auf Schienen“ geht es schnurstracks via Transrapid zu Stoiber und seiner neuen Aufgabe als Entbürokratisator in Brüssel: „Wenn dessen Reden einmal zu viel wörtlich übersetzt werden, drückt Putin den roten Knopf“, fürchtet Priol und lässt seinen Landsmann Edmund wie ein Phantom immer wieder durchs Programm geistern. Seine Imitate sind akustisch täuschend echt und oft reicht nur eine Geste, um die Illusion perfekt zu machen, denn ob Politiker-Zitat oder Kabarettisten-Ulk – die Grenzen sind nur zu oft fließend.

Öfters als Stoiber taucht nur Angela Merkel auf, der er ihre symbolische Politik übel nimmt: „Was sie morgens als Europaratsvorsitzende beschlossen hatte, wurde mittags als Kanzlerin abgeschwächt und abends dann als CDU-Chefin und Nicknegerin der deutschen Wirtschaft endgültig dementiert“, wettert Priol: „Es gilt das gebrochene Wort.“ Keine Frage: Ihr „entschiedenes Vielleicht“ geht dem Kabarettisten gehörig auf den Geist.

Doch gibt es natürlich noch andere Zielscheiben, die Priol mit schwerem Geschütz zwischen Pauli und Stoiber, Münte und Merkel sowie der Entscheidung zwischen Schäuble und Grundgesetzt als Ziel wählt. Munter werden Parallelen zwischen dem jüngsten Auftritt von Uli Hoeneß und der Politik im Allgemeinen gezogen – und das Schlimme ist: Priol hat Recht!

Wobei eine amüsante Brisanz zwischen seinem Anspruch und der Wirklichkeit besteht: Hätte der Kabarettist, der mit zu den Brillantesten gehört, die sich auf Deutschlands Kleinkunstbühnen tummeln, nichts mehr zu meckern, weil sich alle Gescholtenen die Kritik zu Herzen genommen hätten, wäre er arbeitslos. Und sein Publikum um vieles ärmer.

Dann möchte man sich doch lieber nach Herzen aufregen über „den Razt“ Papst Benedikt, der „auf seinen letzten Metern noch mal richtig Gas gibt“, über den verbrauchten Schutzminister Horst Seehofer, über Diskussionen um zu begnadigende Terroristen und Rauchverbote oder den Bundespräsidenten-Darsteller Hosrt Köhler. Wobei Priol nicht nur austeilt, sondern auch selbstkritisch Nabelschau hält: „Wir lassen uns schon einiges gefallen“, grient er ins Publikum.

Aber da man hierzulande sowohl als Politiker als auch Privatmann erfahrungsgemäß beratungsresistent ist, darf man sich auch weiterhin über Priols Pointen freuen: „Das nächste Jahr wird wahrscheinlich genauso beschissen“, kann sich der wirr Frisierte sein Engagement schon mal für die nächsten Dekaden sichern…

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