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Kabarett mit Stachel

MAINZ (20. April 2012). Ein Cello hat vier Saiten – Matthias Deutschmann ist vielseitiger: Bissig, nachdenklich und hinterfragend, anklagend und klagend, aber nicht jammernd, dafür zornig und mit funkelndem Sarkasmus nimmt er sich im Unterhaus dem Hier und Heute, aber auch dem Gestern an.

Zusammen mit seinem hölzernen Sparringspartner spielt er derzeit sein aktuelles Programm, das bezeichnenderweise keinen ausformulierten Titel hat: Es heißt schlicht „Solo 2012“, bietet dem Altmeister des politischen Kabaretts somit Raum für größtmögliche Aktualität. Und das ist genau so nötig wie der Klartext, den Deutschmann wieder spricht.

Die Ereignisse überschlagen sich, doch der Cellist lässt sich nicht hetzen. Mit getragenem Duktus steigt er in den Abend ein: Nachdenklich reibt er mit Kolophonium das Rosshaar des Bogens ein: „Das Wort hat seine Wurzeln bei den Griechen – den alten wohlgemerkt.“ Zwar nähmen die europäischen Nachbarn gegenwärtig eher, doch hätten sie rein sprachlich auch viel gegeben. 50 Cent für jedes Wort mit griechischem Stamm für den Rettungsfond? Dann wäre die Eurozone in Sicherheit: „Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass man nicht mehr von Europa spricht? Wir führen ein Leben in der Zone – zusammen mit Angela Merkel.“

Deutschmann ist dankbar für die Themen, die ihm wie im Schlaraffenland zufliegen – und die man doch so gerne ausblendet: Fukushima war ja auch gestern. Statt der einstigen „Aufgabe“ des Kabaretts, nämlich „den Spießbürger zu entlarven“, richtet der Freiburger seinen Fokus auf das, was beschäftigte, doch aus den Nachrichten schon wieder verschwindet.

Berlusconi: „Unter allen europäischen Postdemokratien ist mir Italien die liebste.“ Stuttgart 21: „Der Protest hat schon eine politische Erotik.“ Wulffs Rücktritt in Schloss Bellevue, der recht(s)schaffende Verfassungsschutz: „So oft in den Nachrichten, dass man von Geheimdienst nicht mehr sprechen kann.“ Und der Papst-Besuch im vergangenen Jahr: „Die Kirche von unten protestiert gegen die von hinten.“ Aus der zeitlichen Distanz heraus sind die Kommentare abgeklärter – kein neuer Wesenszug des Kabarettisten, aber einer, der intensiver wird.

Zuweilen schlägt Deutschmann scharfe Töne an, improvisiert gewagt wie gekonnt und kombiniert dabei virtuos Wort mit Klang: Harmonische Töne auf dem Cello untermalen die Dissonanzen der Realität mildernd. Wie er da auf den Saiten von Musik und Sprache parliert, seine Töne auf dem Griffbrett des Tagesgeschehens anstimmt, die Aufmerksamkeit an den Wirbeln anzieht und mit dem Stachel des Cellos fixiert, das hat schon etwas besonders Delikates.

Damit lässt sich eben auch Unappetitliches servieren: Das Grass-Gedicht („Gedanken im Flattersatz“) und die Reaktionen darauf halten sich bei Deutschmann ansprechend die Waage und er rät gar zu einem Kurs bei Henryik M. Broder: „Wie werde ich Antisemit in 14 Tagen?“ Aber auch die Islamophobie hierzulande bleibt nicht unerwähnt und Deutschmann, der seinen Namen seit jeher als „Auftrag und Verhängnis zugleich“ sieht, dreht die Spieße so herum, dass alle die sengende Hitze seines kühl geäußerten Spotts spüren können – auch der „entlarvte Spießbürger“ im Publikum…

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