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Heinz – eine Jugend in Deutschland

MAINZ (1. Juni 2015). Da sitzt er wieder, der Heinz – Karohemd, Hosenträger, Kapp‘. Doch wie wurde er zu dem, was er ist?

Der Stammtischbruder par excellence ist in den Jahren seiner Bühnenexistenz nicht gealtert – sein Schöpfer Gerd Dudenhöffer räumte allerdings in einem Interview ein, dass er ihn langsam einhole. Becker war „immer so um die 60“. Jetzt erfährt das Publikum mehr: In „Vita. Chronik eines Stillstandes“, dem 16. Programm Dudenhöffers als Heinz Becker, geht der Kabarettist „ad fontes“.

1949 wurde er geboren – nicht Dudenhöffer, sondern Heinz. Als „Geburt der späten Gnade“. Eigentlich sollte er Willi heißen: „Wer weiß, wo ich dann heute wär?“ Zum Glück heißt er Heinz und ist auf der Bühne. In vier Jahren wird der 70. Geburtstag gefeiert und angekommen im Rentenalter gibt Dudenhöffer dem Heinz nun die Zeit, einmal Rückblick zu halten.

Das geschieht wie gewohnt mit jener grandios gespielten Naivität, die einem wie ein nasses Handtuch um die Ohren fliegt. Und durchaus auch anrührt. Große Liebe war bei den Beckers offenbar nie im Spiel: „War ja alles kaputt nach dem Krieg.“ Persönliche Nähe gab es doch: „Fieber hat meine Mutter schon mal gemessen.“ Apropos – wie war das damals eigentlich mit den Nazis? „Wir haben nichts gewusst, also kann ich Dir auch nichts erzählen“, beendete der Vater die Diskussion.

Überhaupt der Herr Papa – Dudenhöffer erschafft für „Vita. Chronik eines Stillstandes“ keine zweite Figur, sondern eine Chimäre: Heinz wird zum Spiegelbild seines alten Herrn und man begreift, wie sehr soziales Umfeld und Kindheit spätere Geisteshaltungen beeinflussen können. Wenn man nicht aufpasst, kann sich Geschichte schnell wiederholen: Bei den Beckers ist es nur das Schiefhalten der Kommunionskerze, die sowohl bei Heinz als auch bei Sohn Stefan negativ auffiel, doch hierzulande werden jetzt wieder die Stimmen gegen Ausländer laut. Geschickt fasst Dudenhöffer heiße Eisen an und legt „den offenen Finger in die Wunde“.

Becker durchlebte aber auch eine wilde Zeit: Onkel Bernhard und Tante Maria ließen sich scheiden, 1961, als die Mauer gebaut wurde. „Eine Schande“, poltert Becker, doch meint er nicht die innerdeutsche Teilung. Maria ist später an Krebs gestorben und die Nachbarn munkelten, der Herrgott werde sich schon was dabei gedacht haben. Die Beatles sangen, 1968 lernte Heinz „‘s Hilde“ kennen: „Das war im Jahr der Notstandsgesetze.“ Zwei Jahre später dann ein weiteres wichtiges Datum: Heinz bekommt seine erste Kapp‘, die bis heute sein Denken im Zaum zu halten scheint. 1979 wird Stefan geboren, zehn Jahre später fällt die Mauer fällt. Was dann passierte, konnte man ja im Fernsehen erleben.

Das Publikum erlebt die Eckdaten der Republik wie in einer jener gut aufgebauten telegenen Retrospektiven. Strich für Strich zeichnet Dudenhöffer dabei die Genese seines Heinz zu jener pointierten Karikatur nach, bei der man zuweilen nicht mehr weiß, wo die Fiktion endet und die Realität beginnt. Das liegt durchaus am Zuschauer selbst, der den teils abstrusen Ansichten der Kunstfigur laut widersprechen mag – oder sie sogar beklatscht. Jedes Publikum ist anders, so dass auch Dudenhöffer immer wieder verblüfft die Reaktionen des Auditoriums registriert.

Ein Interview mit Gerd Dudenhöffer können Sie hier lesen: http://www.schreibwolff.de/kleinkunst/interview-dudenhoeffer-2015.

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