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Gemeines Plädoyer für die Würde

MAINZ (18. September 2012). „Was bitte soll das denn?“, mag sich der eine oder andere angesichts des wüsten Bühnengeschehens während des jüngsten Unterhaus-Gastspiels von Matthias Egersdörfer stellen. Doch die Frage greift nicht weit genug und wird dem gewohnt garstigen Schauspiel, das der grimmige Franke da diesmal mit Claudia Schulz aufführt, wenig gerecht.

Es sind bitterböse Szenen einer grotesken Beziehung, die hier gesponnen werden. Das Programm heißt „Carmen oder Die Würde des Menschen ist ein Scheißdreck!“ und bietet Egersdörfer die Gelegenheit, sein grantelndes Alter ego konsequent weiter zu entwickeln: Wer als Solist nur nörgelt, kann in einer Partnerschaft nicht plötzlich zum liebenden und vor allem toleranten Gegenüber werden. So malträtiert der männliche Täter sein weibliches Opfer.

Doch das ist nur die Oberfläche, denn Egersdörfers „Carmen“ ist auch die Kunst der Spiegelung. Das beginnt schon vor dem Anfang, als der Franke das Zustandekommen des Programms erklärt: die Eltern gestorben, Gezanke ums Erbe, die Lebensgefährtin aus der glücklichen Wochenendbeziehung ausgebrochen und nun ständig präsent; da sind die Agenten, die für 2012 ein neues Soloprogramm wollten und die zwei Mimen – neben „Carmen“ Claudia Schulz spielt auch Andy Maurice Mueller als schwuler Nachbar Rene Eichhorn mit –, die Hilfe anboten, der eine alkoholkrank, die andere essgestört. Egersdörfer erzählt das, als wolle er das Spiel schon vor der ersten Szene entschuldigen. Was entspricht hier der Realität und was ist Fiktion? Natürlich ist das Ganze eine gut gespielte Farce, doch die Grenzen werden kunstvoll verwischt.

Das polternde Bühnengeschehen birgt viele rabenschwarze Momente, wenn Egersdörfers Carmen von ihm brutal in den Senkel gestellt wird. Während Schulz auf kleine Gesten der Demut setzt und Mueller schrill überzeichnet, führt der Kabarettist das große Wort in dieser absurden Beziehung zwischen Pfannengyros und „ordnungsgemäßem Geschlechtsverkehr mit der Schulnote befriedigend“. Da macht man den Besuch bei den potenziellen Schwiegereltern, um den Gen-Pool zu sichten und goutiert Carport, Marken-Gartenschlauch, Limousine sowie das Porzellan. Dazwischen: Gewaltfantasien des Mannes, Suizid-Gedanken der Frau, galliger Spott gegenüber der schwulen Minderheit.

Spricht diese Face der so negierten Würde das Wort? Die Szenen pendeln zwischen bissigem Humor und aberwitziger Geschmacklosigkeit, das Publikum zwischen Amüsement und Überdruss. Mittendrin Egersdörfer als Ekelpaket mit seinem dialektgefärbten Crescendo und der gequetschten Stimme. Um „Carmen“ zu ertragen muss man den Künstler kennen und vor allem seinen herben Witz schätzen. Ohne den Mut zur Abstraktion aber führt diese Groteske bald ins Abseits.

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