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In den Pfoten eines Salonbolschewisten

MAINZ (29. eptember 2010). Es ist alles wahr. Und wenn sich in die Erzählungen von Marc-Uwe Kling über seine Wohngemeinschaft mit dem kommunistischen Känguru auch nur eine kleine Notlüge eingeschlichen haben sollte, dann aus rein künstlerischen Gründen.

Der König der Slam-Poetry, jener Dichterwettstreit, der der öffentlichen Lesung eigener Texte wichtige Impulse gab und gibt, bringt sein mittlerweile drittes Programm auf die Bühne und sorgte mit seinem leider nur eintägigen Gastspiel im Mainzer Unterhaus mit dem „Känguru-Manifest“ für einen vollen Saal.

Und wieder heißt es bedrohlich wie gleichsam vertraut: „Ein Känguru geht um in Europa.“ Wobei Marc-Uwe Kling weiterhin auf die bewährte Mischung der legeren Folge von kurzen Texten und Liedern setzt. Der Erzählmodus des Kabarettisten ist dabei von einer angenehmen Gelassenheit geprägt, wobei das Timbre nur dann ansteigt, wenn sich das Känguru zu Wort meldet – ansonsten scheint sich Mitbewohner Kling fatalistisch darein zu fügen, dass auf seine Kosten große Sprünge gemacht werden und das Känguru alles auf eigene Pfote macht.

In die Stories mischt Kling immer wieder seine politischen Statements, ohne auch nur einen Augenblick lang zu belehren. Mit tierischer Unterstützung – das Känguru hat immer die richtigen Utensilien im Beutel – hält er als „Hauptmann Zuckmayer“ auf einer Bundeswehr-Konferenz einen Vortrag über die Vorteile einer privatisierten Armee, der prompten Beifall findet. Dann protestieren die beiden gegen einen nationalistischen Agitator namens Jörg Twix, dem das Känguru im Rahmen seines Kunstprojekts „Angewandte Redearten“ ans Bein gepinkelt hat. Oder man macht sich für fair gehandelten Kaffee stark.

Das Känguru als Mitbewohner erweist sich dabei als sympathischer Salon-Bolschewist und rechnet (als Running Gag jedes Programms) an der Kinokasse vor, wie man mittels Schwarzmarkttausch mit einer Ostmark die DDR hätte entschulden können. Wo normalerweise der „rote Bär in seine Tatzen schlägt“, ballt das Känguru die Pfote zur Faust und wird auf Arbeitssuche in einem Call-Center der FDP fündig, wo es aufgrund von alkoholisierter Arbeitsverweigerung nach wenigen Tagen rausfliegt.

Wer ein derart tierisches Stelldichein auf der Kabarettbühne nur für eine infantile Anwandlung hält, hat nicht genau hingehört: Zwar sind auch dem Känguru durchaus naive Züge eigen, doch tapst es längst nicht so tumb wie ein zum Leben erwachter Teddybär daher, auch wenn es zuweilen „mit einem Stück kalter Pizza in der Pfote zum Sessel schlurft“. Klings Kompagnon hat ein politisches Bewusstsein, hinterfragt mit entwaffnender Logik. Und sein Mitbewohner greift zur eigenen Erholung zur Gitarre und singt ein Lied, in dem es darum geht, ob man von bestimmen Tätigkeiten denn auch leben könne; die Antwort ist einfach: „Kommt drauf an, wie man Leben definiert…“

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