» Kleinkunst

Zu viel des Guten

MAINZ (18. Februar 2022). Keiner kann sich so toll aufregen wie Matthias Egersdörfer. Auch in seinem neuen Programm „Nachrichten aus dem Hinterhaus“ dauert es nur wenige Minute, bis der grantelnde Franke akustisch Schaum vor dem Mund hat. Der Künstler reiht die Auslöser dafür wie Tretminen, auf die er auf dem Weg durch seine Geschichten entweder mit Verve oder wie aus Versehen tritt – Hauptsache, er kann sich (so herrlich) in Rage reden.

Die Bühne ist Egersdörfers Wohnzimmer, das Publikum besucht ihn in seinem Hinterhaus. Und bekommt mit, wie sehr er von anderen immer wieder gestört wird: Vom röchelnden Husten der Frau Schlitzbier, vom Rumpeln des Herrn Spitzbart, von Familie Bahulgen mit ihren Kindern, über deren Anzahl Egersdörfer den Überblick verloren hat („Die Eltern wahrscheinlich auch.“) Natürlich bekommt jeder seine wort- und phonreiche Salve ab, schließlich kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Doch als beim Waschen eine Ringelsocke verschwindet, greift Egersdörfer zum Telefon und bittet Süßholz raspelnd Nachbarin Schlitzbier um Unterstützung bei der Suche: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Gekonnt blickt der Künstler dabei in den Spiegel und auch das Publikum erkennt sich erschrocken wieder.

Das gelingt Egersdörfer in verschiedenen Episoden, die er um sein eigentliches Anliegen herum spinnt, denn er möchte den Gästen ein Manifest vortragen, das er in Coronazeiten geschrieben hat: wie ein schöner Sonntag aussehen sollte. Was aber erst am Schluss des Abends eklamiert wird, davor geht es durch die Höhen und Tiefen, die Irrungen und Wirrungen des egersdörferschen Lebens, wobei ihm auch seine verstorbene Mutter in Form einer renitenten Handpuppe assistiert und sogar zuweilen die Handlung an sich reißt – ein in seiner Skurrilität verstörender Plot.

Der Weg, den das Publikum an diesem Abend zurücklegen muss, ist durchaus anstrengend, denn Matthias Egersdörfer spielt wie immer höchst impulsiv. Dass er dabei fast schon brutal vorgeht, gehört bei ihm dazu und man muss es schön mögen, um den Abend genießen zu können. Dabei ist man durchaus gefangen in dieser Tragikomik eines verkorksten Lebens, das der Künstler ausschweifend erzählt: von seiner Jugend, von verpassten Chancen, garstigen Eltern – irgendwo muss dieser Griesgram ja seine Prägung erhalten haben. Egersdörfers Alter Ego ist todunglücklich, möchte lieber leise und lieb sein.

Dieser Künstler ist ohne Zweifel ein Meister des Erzählens und seine ausgefeilte, oft schon poetische Sprache steht in einem knisternden Gegensatz zum derben Inhalt und seiner Diktion. Die Bögen ziehen indes übergroße Kreise und Egersdörfers Stilmittel des lauten Derwischs, der seine Stimme wie ein flammendes Schwert erhebt, nutzt sich irgendwann auch mal ab: Salz würzt, zu viel Salz kann eine Speise schnell verderben. Schlechte Nachrichten möchte man ungern hören und derzeit gibt es davon mehr als genug. Auch diese aus dem Hinterhaus laufen Gefahr, irgendwann abgeschaltet zu werden.

zurück