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Festivalplaner hängen in der Luft

MAINZ (29. April 2020). Nicht nur in der Musikstadt Mainz verhindert Corona derzeit, dass Künstler Beruf und Berufung nachgehen können. Die Gastronomie darf Gerichte zum Abholen anbieten oder ausliefern – für Liebhaber klassischer Musik gibt es hingegen aktuell nur den „Konsum aus der Konserve“. Doch CDs und engagierte YouTube-Konzerte können auf Dauer kein Ersatz zum Liveerlebnis sein.

„Klänge, die atmen!“ heißt der Slogan, mit dem der Bachchor für sich wirbt und es ist schon bittere Ironie, dass ausgerechnet eine drohende Atemwegserkrankung auch hier dafür sorgte, dass Universitätsgottesdienste sowie die Passionskonzerte abgesagt wurden. Geprobt werden darf aufgrund des Versammlungsverbots ohnehin nicht. Ob am 27. Juni das Konzert „Brahms & Friends“ stattfinden oder man am 24. Juli im Rheingau mit Händels „Messias“ in der Mozartfassung auftreten kann, ist laut Chormanagerin Melanie Leising noch ungewiss.

Aus dem Chorhaus am Dom hört man: Beethovens abgesagtes Passionsoratorium „Christus am Ölberge“ ist für den 4. Oktober geplant, das ausgefallene Mozart-Requiem soll am 1. November musiziert werden. Mit wie vielen Mitwirkenden und wie groß dann das Publikum sein darf, ist allerdings noch ungewiss. Da derzeit im Dom keine Gottesdienste stattfinden, können die Chöre auch nicht ihrer eigentlichen liturgischen Aufgabe nachgehen. Domkapellmeister Karsten Storck steht außerdem vor dem Problem, dass sich sein Knabenchor quasi ohne ihn weiterentwickelt: Wer wird im Stimmbruch sein, wenn der Probenbetrieb irgendwann wieder normal laufen wird? Und wer kommt nach? Denn an Werbung für den Domchor in Schulen ist aktuell ja nicht zu denken. Mit der Domkantorei wird ab nächster Woche online geprobt. Wenn sich dies als praktikabel erweist, soll es auf Knaben- und Mädchenchor ausgeweitet werden.

Dass es in diesem Jahr keinen Internationalen Orgelsommer geben wird, liegt erstmal nicht an Corona: Um den ersten Bauabschnitt der neuen Domorgel am Standort Marktportal und Marienkapelle nach Fertigstellung konzertant zu würdigen, sollte es laut Domorganist Daniel Beckmann einen Orgelherbst geben. Ursprünglich war vorgesehen, das Teilwerk bereits Ende September zu weihen und in Betrieb zu nehmen. Doch dann funkte die Pandemie doch noch dazwischen: Die Orgelbauer der Schweizer Firma Goll mussten aufgrund des Notstands und der Grenzschließungen nach gut einer Montagewoche im März die Arbeiten auf Eis legen. Und da dieser Zustand nach wie vor anhält, kann Beckmann momentan keine verbindlichen Informationen zu einer Konzertreihe geben.

Auf der Homepage von Villa Musica erfährt man: Projekte mit Stipendiaten können nicht stattfinden, einzelne Termine sind gecancelt. „Wir sagen Konzerte derzeit nur peu à peu ab“, erklärt Geschäftsführer Karl Böhmer. Dabei muss die Landesstiftung mehrgleisig fahren: Wo untersagen Städte und Gemeinden aktuell Konzerte von Mitveranstaltern, welche Künstler können überhaupt anreisen und wie verfährt man in den eigenen Räumlichkeiten mit Mindestabstand und Hygienemaßnahmen? „Unser Publikum gehört größtenteils zur Risikogruppe“, spürt Böhmer die Verantwortung. Trotzdem will man hier – unter Auflagen – möglichst bald wieder konzertieren.

Die Landesstiftung ist auch am Festival RheinVokal und am Mainzer Musiksommer maßgeblich beteiligt. Beide Reihen beginnen zwar erst im Juli, doch wartet Michael Heintz von der Agentur MainzKlassik mit Hochspannung auf offizielle Direktive, ob und wie es den Musiksommer 2020 geben kann. Dessen Veranstalter ist die Landeshauptstadt, wo auch Kulturdezernentin Marianne Grosse auf eine baldige, allgemeingültige Definition des Begriffs Großveranstaltung hofft, die ja bis zum 31. August generell abgesagt wurden. „Wir wissen also aktuell nicht, was wir machen können, planen aber verschiedene Szenarien“, sagt Heintz und verspricht alles zu tun, um den Musiksommer durchführen zu können. Pessimistischer blickt er hingegen auf die Meisterkonzerte: Das Beethoven-Konzert mit der Deutschen Staatsphilharmonie wurde bereits auf Ende Juni verschoben – ob es dann tatsächlich stattfinden kann, ist unklar.

Was definitiv ausfällt, sind sämtliche Veranstaltungen der Hochschule für Musik. Über hundert hatte man geplant: Konzerte von Studierenden und Dozenten, Abschlussklassen, Jazzmusikern, Ensembles, Sängern, Chören und Orchestern. Schweren Herzens machte man hier früh den Schritt zum musikalischen „Lock down“ und sagte bis zum Semesterende am 11. Juli vorsorglich alles ab. Inwieweit und in welcher Form einzelne Konzerte nachgeholt werden können, wird derzeit eruiert. „Sehr betrüblich“, kommentiert Rektor Immanuel Ott: „Besonders schade ist es um Prestigeprojekte zum Beethovenjahr wie die Aufführung der fünften Sinfonie oder des Tripelkonzerts durch drei unserer Professoren.“ Sorgen machen Ott vor allem die Abschlusskonzerte, die laut Studienordnung ja vor Publikum stattzufinden haben.

Auch die Konzerte von UniChor und UniOrchester am 4. und 5. Juli in der Halle 45 können nicht stattfinden; Beethovens „Missa solemnis“ soll jetzt im Februar aufgeführt werden. Für ein weiteres Projekt hat der Leiter des Collegium musicum und Mainzer Stadtmusiker die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben: Im Mai wollte Felix Koch mit Gutenberg-Kammerchor, Neumeyer Consort und Solisten Händels „Messiah“ in seiner frühesten Fassung als Weltersteinspielung für CD aufnehmen und danach mehrere Konzerte geben. Derzeit fragt Koch bei allen Mitwirkenden an, ob zumindest die Aufnahme im September noch realisiert werden kann. Die Voraussetzung auch hierfür ist jedoch, dass alle Musiker und Veranstalter von der Politik bald klare Antworten auf die berühmten W-Fragen bekommen: Wer darf was, wann und wo? Und vor allem: wie?

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