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Grundsolide Aufführung ohne Risiko

MAINZ (28. Februar 2016). Eine kleine empirische Erhebung vor der Aufführung eines sattsam bekannten Werks von Johann Sebastian Bach wäre interessant: Was erwartet wohl das Publikum? Was erhofft es sich? Möchte es das schon so oft gehörte Werk bitteschön so gespielt bekommen, wie man es eben kennt? Oder wünscht es sich eher wagemutige Ideen, die seine Hörgewohnheiten bewusst infrage und vielleicht sogar provokant auf den Kopf stellen?

Überall im Land hängen derzeit Wahlplakate mit ihren Mahnungen wie Versprechen – und irgendwie fühlte man sich mit Stefan Weilers Interpretation von Bachs Johannespassion in der Ebersheimer St. Laurentius-Kirche an den wohl bekanntesten Slogan aus der Bundestagswahl des Jahres 1957 erinnert, mit dem Konrad Adenauers CDU damals vor der vermeintlich „roten Gefahr“ warnte: „Keine Experimente!“ Das dritte Konzertprojekt des erst im vergangenen Jahr gegründeten Kammerchors Rheinhessen mit der Mainzer Camerata Musicale geriet grundsolide und verzichtete auf gewagte Risikofreude.

Weiler beginnt mit mäßigem Tempo – ein Weg, den er nur in den Turba-Chören für eine vitalere Binnenagogik verlässt. Damit sorgt er für dramatische Szenen, wenn das Volk die Kreuzigung Jesu fordert. Dessen Partie wurde ergreifend von Julian Millan gestaltet – der Pilatus von Florian Schmitt-Bohn ergab ein würdiges Gegenüber. Wie diese beiden Rollen ließ Weiler abgesehen von den Evangelisten-Worten alle Arien und Soliquenten-Stellen von verschiedenen Mitgliedern des angenehm schlank besetzten Kammerchors singen.

Auch wenn man dabei vielleicht Gefahr läuft, das Publikum zu spontanen Qualitäts-Vergleichen zu animieren: Die Leistung der weiteren Solisten – Beate Heitzmann (Sopran), Anne Hartmann und Sandra Marks (Alt) sowie vor allem Andrejus Kalinovas (Tenor) – konnten ebenfalls überzeugen. Als Erzähler eine kluge Wahl war Tenor Tobias Mäthger: Er gestaltete die Evangelisten-Partie angenehm objektiv und behände.

Dass sich Weilers aktuelle Adaption der Johannespassion eher im konventionellen Rahmen bewegte, war letztendlich kein Schaden; allerdings verzichtete der Dirigent gerade in den Chorälen weitestgehend auf individuelle Gestaltung. Wo die gängige Aufführungspraxis bewusst Akzente setzt, hielt es Weiler eher mit der Fermaten-Treue, was einzelnen Nummern – beispielsweise bei „In meines Herzens Grunde“ oder „Er nahm alles wohl in Acht“ – doch einen arg schleppenden Duktus verlieh.

Gleichviel: Auch diese Johannespassion hatte ihre ergreifenden Momente, die sich aus kleinen Details ergaben. So hatte Weiler den ursprünglichen orchestralen Klangkörper um ein Kontrafagott ergänzt, was so manchem Schlussakkord eine bewusste Wucht verlieh und somit die textliche Aussage mit musikalischen Mitteln unterstrich. Man darf also auch auf weitere Projekte des Kammerchors Rheinhessen, die sich sämtlich „rund um Bach“ bewegen, durchaus gespannt sein.

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