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„… und unsern kranken Nachbar auch“

MAINZ (21. Januar 2015). Es ist schon erstaunlich, dass so mancher Dichter und Denker im Schatten eines einzigen Werkes steht – wie Matthias Claudius, 1740 im holsteinischen Reinfeld geboren und am 21. Januar vor 200 Jahren in Hamburg gestorben.

Wenigen dürfte bekannt sein, dass er ganz in der Nähe als Redakteur der „Hessen-Darmstädtischen privilegierten Land-Zeitung“ wirkte – aber fast jeder kennt seine berühmten Liedverse: „Der Mond ist aufgegangen, / die gold’nen Sternlein prangen / am Himmel hell und klar.“

Das Abendlied wird nicht nur gerne gesungen, sondern war mitunter Inspiration auch für ganz andere Sparten: Der Kabarettist Dieter Hildebrandt legte es seiner Parodie einer Rede Kohls zugrunde und der Kolumnist Axel Hacke setzte dem geistlichen Volkslied, für das Johann Abraham Peter Schulz 1790 die Melodie ersann, mit dem Titel eines seiner Bücher ein Denkmal: „Der weiße Neger Wumbaba“ heißt es und beschreibt das (nicht nur) kindliche Missverstehen von alten und neuen Liedtexten, dichtete Claudius doch weiter: „Der Wald steht still und schweiget / und aus den Wiesen steiget / der weiße Nebel wunderbar“.

Der Poet entstammte einer alten Pastorenfamilie, drei seiner Söhne traten ebenfalls in den geistlichen Stand. Auch Claudius studierte erst Theologie, dann Jura und Buchführung, wurde 1768 Journalist für die „Hamburgischen Addreß-Comtoir-Nachrichten“. 1771 wechselte er als Redakteur zum „Wandsbecker Bothen“ und schrieb dort für ein deutschlandweit bekanntes Feuilleton. 1772 heiratete Claudius die Zimmermannstochter Rebekka Behn, die ihm zwölf Kinder schenkte.

Nach seiner Station in Darmstadt zurück in Norddeutschland veröffentlichte er Gedichte und Prosa als „Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen“ – eine Bezeichnung, die er bewusst für sich beanspruchte, verstand er sich doch immer mehr als Herold des christlichen Glaubens. 1788 trat er eine Stelle als Bankrevisor an, war also finanziell abgesichert. Sein Leben zwischen den Epochen war dabei nicht frei von Widersprüchen: Er dichtete Spottverse auf Goethe und Schiller, empfand als Romantiker, war loyaler Untertan und selbstbewusster Bürger zugleich.

Auch wenn ihn der Wandsbeker Autor Michael Pommerening als „sympathischen Reaktionär“ beschreibt, war Claudius doch erklärter Kritiker der Französischen Revolution und sah die bestehende Gesellschaftsordnung als gottgewollt an. Der Biograf Martin Geck beschreibt eine zunehmend konservative Weltsicht, die den Dichter im Alter „unzeitgemäß“ werden ließ. In den Jahren 1813 und 1814 floh er gar vor den französischen Truppen.

Es ist unklar, wo und wann genau Matthias Claudius sein Abendlied geschrieben hat, doch eine schöne Anekdote berichtet von einem Menschen, um den sich der Dichter seinerzeit wohl kümmerte – und den er im letzten Vers in sein Gebet einschließt: „So legt euch denn, ihr Brüder, / in Gottes Namen nieder; / kalt ist der Abendhauch. / Verschon‘ uns, Gott, mit Strafen / und lass uns ruhig schlafen / und unsern kranken Nachbar auch.“ Ob diese Legende stimmt? Gleichviel – sie passt in ihrem Selbstverständnis zur schlichten Eindringlichkeit von Claudius‘ Versen.

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