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Entschwinden im Todesnachen

MAINZ – Die Liebe und die große Politik – sie vertragen sich einfach nicht. Auf der einen Seite soll Aeneas, dem brennenden Troja entkommen, in Italien ein neues Reich errichten, auf der anderen Seite empfängt ihn die phönizische Prinzessin Dido an Karthagos Gestaden freundlich. Dumm nur, dass sie Enthaltsamkeit gelobte und lieber stirbt, als dem Werben des Helden nachzugeben.

Im Mainzer Staatstheater ist die kurze Oper von Henry Purcell (1659-1695) derzeit in einer Inszenierung von Arila Siegert zu sehen. Mit deutlich maritimen Touch liegen Schiffsrümpfe wie Treibgut über die Bühne verstreut. Mitten darin arbeitet Dido am Reißbrett und beklagt ihre selbst auferlegte Einsamkeit. Zwischendurch reicht ihr Freundin Belinda ein Käffchen.

Die englischsprachige Aufführung mit deutschem Obertitel fängt etwas schleppend an. Es passiert lange Zeit nichts. Doch bevor Langeweile aufkommt, beginnt der Zuschauer, sich in den drögen Alltag der phönizischen Regentin einzufühlen. Schließlich bereitet Aeneas dem Einerlei ein Ende.

Doch allzu einfach macht es der Dichter Vergil seinen Protagonisten nicht: Das Vokalensemble der Mainzer Hochschule für Musik mimt eine Hexentruppe, die sich gegen das Paar verschwört: Aeneas wird einerseits an seine Pflicht der Reichsgründung erinnert und andererseits in Didos Arme getrieben. Doch wie ein Sandkorn im Getriebe der Gefühle bringt das erwachte Pflichtbewusstsein Aeneas‘ Liebe zum Stottern. Er will bleiben, doch Dido lehnt ab und besteigt lieber das Todesboot als das Ehebett.

Hans Dieter Schaals Bühnenbild ist karg und steckt doch voller Überraschungen: Vor einem großen Rund, das mal als Mond, mal als untergehende Sonne dient, geraten die Boote plötzlich in Bewegung und schweben auf den Wellen, was diesem Purcell eine erfrischende Lebendigkeit verleiht.

Auch die Kostüme von Susanne Maier-Staufen sind äußerst wandlungsfähig: Ein Wenden, ein rasches Überziehen – und schon wird aus dem Hexenchor ein mit Schlag an Land schwankender Matrosenpulk, der breitbeinig seinen Triumph über das Liebespaar, das in keuschem Weiß gefällt, feiert.

Die Leistungen der Solisten gefällt durch die Bank: Almerija Delic singt ihre Dido tief traurig, die sich auch nicht von Anne Ganzenmüllers Belinda aufmuntern lässt. Diese spielt gemeinsam mit Aeneas die Angst im Gewitter des zweiten Aktes überzeugend. Christian Rathgeber gibt den Helden, der sich seiner potenten Gastgeberin doch eher schüchtern nähert und somit einen anregenden Gegensatz schafft. Mit wachsendem Selbstbewusstsein wirbt er um die Prinzessin. Plausibel füllt auch Dmitry Egorov seine Rollen als Zauberin, Geist und Matrose aus: Mit keckerndem Altus führt er seine Hexenclique an. Fast alle sind Mitglieder des Jungen Ensembles am Staatstheater Mainz, von denen man gerne mehr hören möchte.

Einziger Knackpunkt dieser Inszenierung ist jedoch der aus Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz zusammengesetzte Klangkörper. Man merkt schnell, dass diese Musiker nicht im barocken Klang zu Hause sind. Michael Schneider begnügt sich über lange Strecken mit reichlich uninspiriertem Spiel. An zu vielen Stellen klappert es doch arg, driften die Instrumentalisten im Graben und die Solisten auf der Bühne auseinander. Und das wirft auf diesen „Dido und Aeneas“ letztendlich leider einen spürbaren Schatten.

Mit der wunderschönen Arie „When I am laid in earth“ besteigt Dido am Schluss den Todesnachen und lässt sich von einem stoisch rudernden Charon vor einem bleichem Mond Richtung Styx schippern. Dieses Klagelied zollt Purcells inniger Ausdruckskunst Respekt: Das Rezitativ sinkt in ermatteter Bewegung herab und die Arie ist von schmerzlichen Dissonanzen über dem getragenen Lamentobass geprägt. Und so gelingt das Ende auch ohne orchestralen Glanz.

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