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Mit Macht zurück

OESTRICH-WINKEL (18. Februar 2021). Ehrlich gesagt bekommt man erst mal einen Schreck: Michael Herrmann, der Gründer und Intendant des Rheingau Musik Festivals scheint im Vergleich zum April 2020, als er sich in einem emotionalen Appell an die Öffentlichkeit wandte und per Onlinevideo über die Komplett-Absage des Festivals informierte, um Jahre gealtert. Man kann es sich kaum vorstellen, was es für diesen engagierten Impresario bedeutete, als Corona die Säulen seines Lebenswerks erschütterte.

Doch dieses Lebenswerk steht, denn das Rheingau Musik Festival geht im Sommer in seine 34. Spielzeit. Und als wollte man der Pandemie trotzig die Stirn bieten, plant man, was die Anzahl der Veranstaltungen betrifft, sogar noch größer als in der Vergangenheit: 192 Konzerte werden an 22 Spielstätten des Rheingaus und benachbarter Regionen veranstaltet. 115.000 Eintrittskarten stehen für die Konzerte zur Verfügung. Zum Vergleich: In der abgesagten Saison 2020 waren es „nur“ rund 140 Veranstaltungen. Dafür hat sich die Zahl der Spielstätten um ein Drittel verringert. Das Programm ist jedoch vielfältig und -schichtig wie eh und je und hält natürlich auch in diesem Jahr ein paar besonders funkelnde Konzertjuwelen parat.

Informativ wandelt das Festival in diesem Jahr auf anderen Wegen: Statt der traditionellen Pressekonferenz in der an den Geschäftssitz angeschlossenen einstigen Kelterhalle in Oestrich-Winkel geht die Programmvorstellung viral – aber nicht per Zoom oder Skype, sondern mit einem professionell gedrehten Video. Das ist neu, bei Weitem nicht die schlechteste Alternative und beweist, dass man hier nicht nur mit der Zeit geht sondern auch auf ihrer Höhe ist.

„Die gemeinsamen Konzerterlebnisse fehlen uns allen“, erklärt Michael Herrmann zu Beginn. Über 3.000 mitwirkende Künstler habe man 2020 nicht begrüßen können. „Doch jeder Einschnitt, sei er auch noch so groß, bietet die Möglichkeit, sich auch ein Stück weit neu zu erfinden.“ So blicke man zuversichtlich und mit großer Vorfreude auf den kommenden Festivalsommer. Auch Geschäftsführer Marsilius Graf von Ingelheim ist optimistisch und dankt dem Publikum für seine „großzügige Hilfe und Treue“ sowie der Politik für die Unterstützung und den Sponsoren aus der Wirtschaft für ihre Zuversicht.

Angesichts der aktuellen Lage liege der Fokus des Festivals nicht nur auf dem hochwertigen Konzertprogramm, sondern auch auf der Gesundheit und dem Wohlergehen aller Künstlerinnen und Künstler, Gäste und Mitarbeitenden. „Es war ein großes Privileg und ein unabdingbarer Schritt, dass wir mit Ihnen allen und der Stiftung Rheingau Musik Festival im vergangenen Jahr Nachwuchskünstler und Künstler in Not finanziell unterstützen konnten“, erklärt Graf von Ingelheim: „Diese Aufgabe zur kulturellen Rettung in unserem Land und darüber hinaus wird uns auch in diesem Jahr weiter beschäftigen und an erster Stelle unserer Bemühungen stehen.“

Auf Distanz – sprich per Stream – habe man 2020 dennoch einige Musikerinnen und Musiker begrüßen können: Die Online-Kampagne „Trotzdem Sommer!“ präsentierte auf allen verfügbaren Kanälen fünf eigens konzipierte und produzierte Digitalkonzerte, die mit ihrem Zusatz aus Hintergrundinformationen und Künstlerportraits laut Graf von Ingelheim zu den am meisten abgerufenen Konzerten der vergangenen Monate gehörten. Die Konzerte sind weiterhin kostenfrei auf der Website des Festivals abrufbar.

2021 wird es jedoch wieder (auch) analog weitergehen: natürlich mit einem ausgearbeiteten Hygienekonzept, das unter anderem (dann aktuell geltende) Abstandsregeln, teilweise gedoppelte (und leicht gekürzte) Konzerte, den Verzicht auf Pausen, Bestuhlung im Schachbrettmuster sowie die Datenabfrage der Konzertbesucher zur etwaigen Nachverfolgung einer möglichen Infektionskette vorsieht. Die etablierten Spielorte in Kloster Eberbach, dem Wiesbadener Kurhaus, oder auf Schloss Vollrads bleiben bestehen, werden jedoch teilweise anders genutzt, da beispielsweise ein Kammerkonzert im Fürst-Metternich-Saal von Schloss Johannisberg bei den wohl auch im Sommer noch zu beachtenden Abstandsregeln wirtschaftlich wie atmosphärisch keinen Sinn ergibt.

Hier wird daher ein laut Herrmann akustisch anspruchsvoller „einmaliger Konzert-Kubus“ entstehen, der am Ende der Spielzeit zurück- und künftig variabel wieder aufgebaut werden kann. Für Konzerte im Bereich Pop und Rock nutzt man die Wiesbadener Brita-Arena als neue Spielstätte – mit 600 Strandkörben für das besondere Konzerterlebnis, dem mit den Tribünenplätzen abstandskonform rund 3000 Gäste beiwohnen können. Als zentraler Ort für die Veranstaltungen in Weingütern fungiert 2021 der Wein-Pavillon im Draiser Hof des Weinguts Baron Knyphausen. Auch der aufwändig sanierte Klosterhof in Kloster Eberbach soll künftig verstärkt für Open-air-Konzerte mit einer eigens angefertigten Konzertmuschel genutzt werden.

Das Programm bietet auch in dieser Saison die mittlerweile bestens erprobte Mischung aus Alt und Neu, klassischer Musik und modernen Klängen. Damit wird einmal mehr dafür gesorgt, dass die Idee des Festivals mit Berücksichtigung der verschiedenen Publikumswünsche und -strukturen behutsam in die Zukunft geführt wird. Nachdem Corona das Beethoven-Jahr 2020 torpediert hatte, setzt das Festival im Juli nun einen Akzent bei Mozart (neun Konzerte) und feiert den 100. Geburtstag Astor Piazzollas in vier Veranstaltungen mit einem konzertanten Portrait. Artist in Residence ist die Pianistin Khatia Buniatishvili mit vier, Fokus-Künstlerin die Geigerin Bomsori Kim mit sieben Gastspielen. Als besonderen vokalen Gast begrüßt das Festival den Tenebrae Choir, der das Publikum bereits 2019 in seinen Bann schlug, als er den Raum von Kloster Eberbach auf ganz besondere Art zum Klingen brachte. Der Gast aus Großbritannien gestaltet zwei Konzerte im Sommer und eines in der Adventszeit. 13 Konzerte rücken mit der Reihe „Next Generation“ den Klassiknachwuchs in den Mittelpunkt. Es gibt „Jazz & more“ (16 Veranstaltungen, darunter mit Till Brönner, Max Giesinger, Smokie, Ute Lemper und dem Gershwin Piano Quartett), fünf Konzerte werden für Kinder und Jugendliche angeboten.

Eröffnet wird das Festival am 26. Juni unter Anwesenheit und Schirmherrschaft von Ministerpräsident Volker Bouffier und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der dieses Konzert zu seinem jährlichen Benefizkonzert erklärte und mit den Einnahmen junge Künstlerinnen und Künstler unterstützen will. Das Konzert unter anderem mit der „Reformationssinfonie“ von Mendelssohn Bartholdy wird traditionell vom hr-Sinfonieorchester – der Sender ist neben dem Deutschlandfunk und der Deutschen Welle treuer Medienpartner des Festivals – gestaltet.

Bis zum 5. September und mit Ausläufern in die Weihnachtszeit gibt es im Rheingau sowie mit Gastspielen im benachbarten Ingelheim zahlreiche Orchesterprojekte unter anderem mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und den Bamberger Symphonikern, barocke Konzertmomente etwa mit La Concert Spirituel oder der Akademie für Alte Musik, Kammermusik sowie Klavier-Rezitale mit Künstlerinnen und Künstlern wie Elisabeth Leonskaja, Jan Lisiecki oder Gabriela Montero.

Das komplette Festival-Programm zum digitalen Blättern gibt es hier: https://www.yumpu.com/de/document/read/65302870/rheingau-musik-festival-ouverture-2021

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