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Heidenrespekt!

Der in Berlin lebende Kolumnist Gideon Böss hat im Jahr 2014 einen Roman geschrieben: „Die Nachhaltigen“ – eine tolle Satire auf Naturschutz und Rassismus (ganz grob gesagt). Den sollte man lesen! Und nach der Lektüre fragt man sich dann vielleicht, was dieser Mensch denn noch so geschrieben hat? Neben seiner Mitautorenschaft am ironischen Bändchen „Auf ein Gläschen mit Helmut Schmidt“ ein Sachbuch: „Deutschland, deine Götter – eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern“. Um diese faszinierende Publikation geht es hier.

In Deutschland gibt es die katholische Kirche („Wir sind Papst!“) sowie die evangelische (500 Jahre Reformation!). Und da der Islam zu Deutschland gehört, tut er das selbstverständlich auch bei den großen Glaubensrichtungen; so wie die Anhänger des jüdischen Glaubens. Natürlich übersieht man zuweilen nicht die Zeugen Jehovas, die an der Straßenecke ihren „Wachturm“ unters ungläubige Volk bringen möchten. Gehört hat man auch schon was von Baptisten und Mormonen, gelesen von den Piusbrüdern, sicherlich beides von Scientology. Auch sie sind hierzulande aktiv – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Doch gibt es abseits von Deutschlands „Haupt-Altären“ noch viel mehr Religionen und spirituelle Gemeinschaften, als man sich träumen lassen mag: Esoteriker, Freikirchen, Quäker, Sunniten und Schiiten, Aleviten, Mandäer, Buddihsten, Hinduisten und viele mehr. Gideon Böss hat sie alle besucht und sich mit ihren Repräsentanten unterhalten. In 26 Kapiteln stellt er sie vor.

Doch das Buch „Deutschland, deine Götter“ ist sehr viel mehr als ein Sachbuch: Zum einen enthält es zahlreiche Informationen, die verständlich und unterhaltsam aufbereitet sind; zum andern sind die Kapitel aber auch eine Sammlung von 26 hervorragend geschriebenen Reportagen, die das dokumentieren, was einen richtig guten Journalisten ausmacht: Neugier, Offenheit, eine spitze Feder, aber eben auch der nötige Abstand zum Objekt der Berichterstattung, den Böss als bekennender Nichtgläubiger automatisch mitbringt.

Nun könnte dieser Agnostiker ja sagen: Religion interessiert mich nicht. Aber genau das tut sie und inspiriert Böss zum genauen Hinschauen und Nachfragen. Nicht jede Kirche ist gleich interessant; von manchem Vertreter wie dem Anhänger der Satire-Religion des Fliegenden Spaghettimonsters ist Böss sogar ehrlich enttäuscht. Aber nach jedem Essay weiß man mehr, auch dank der so ganz nebenbei und flüssig verabreichten Hintergrundinformationen zu Historie, Mythen und einzelnen Protagonisten wie William Booth, der 1865 in London die Heilsarmee gründete.

Das, was Böss‘ Buch aber am meisten adelt, ist die höfliche Aufmerksamkeit, mit der er jedem Gesprächspartner – egal ob einem katholischen Priester in Wittenberg (!), einer Hexe der Wicca oder einem Vertreter der Naturreligionen – begegnet: Die Unterhaltungen rücken stets den Menschen in den Vordergrund, der sich für eine bestimmte Religion entscheidet. Natürlich vermeidet es der Autor nicht zu hinterfragen und dabei auch (höchst gelungen!) ironische Fußnoten zu setzen. Letztendlich jedoch hat er vor dem, über das er hier schreibt, einen Heidenrespekt.

Gideon Böss: „Deutschland, deine Götter – eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern“ | Tropen-Verlag, ISBN 978-3-608-50230-5 | 398 Seiten, gebunden | 19,95 €

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