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30 Jahre Mädchenchor am Dom und St. Quintin

In nahezu jedem Gottesdienst im Mainzer Dom singen Chöre: entweder die Domkantorei St. Martin mit ihren erwachsenen Sängern und Sängerinnen, die Jungs vom Mainzer Domchor oder der Mädchenchor am Dom und St. Quintin, der in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiern kann. Weil die gotische Hallenkirche damals keinen eigenen Chor hatte, gab das Domkapitel den Damen in der ältesten Mainzer Pfarrkirche eine weitere Spielstätte – daher auch der etwas längere Name des Ensembles.

Richtig gefeiert werden am Mainzer Dom nur große Jubiläen, wie 2016 der 150. Geburtstag des Domchors. Aber auch das kleine ist Grund genug, dem Mädchenchor Aufmerksamkeit zu widmen, denn er ist ein fester Bestandteil der Musica sacra am Mainzer Dom geworden, die so auch wichtige Kinder- und Jugendarbeit leistet. Die Begleitung der Kinder und Jugendlichen sei viel mehr als musikalische Bildung, betont Domdekan Henning Priesel.: „Ein Chor funktioniert nur im Aufeinander-Hören und im Miteinander, zu einem Klangkörper zu werden. Das braucht Übung und Disziplin. Die Kinder lernen voneinander. Rücksichtnahme und gegenseitige Unterstützung sind keine Fremdworte.“

Dom- und Mädchenchor mit ihren mehr als 300 Sängern und Sängerinnen – also rund 30 Fußballmannschaften – praktizierten „im umfassenden Sinn lebendige Seelsorge“, betont der Domdekan. Sie erfüllten damit eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe: „Das gemeinsame Musizieren und gerade der Gesang sind ja Verkündigung; ich beobachte nicht nur im Gottesdienst, wie das die Menschen ganzheitlich erreicht.“ Das sei umso wichtiger, weil heute die Präsenz der christlichen Botschaft spürbar abnehme.

Neben seinem 30. Geburtstag kann der Mädchenchor übrigens noch ein weiteres Jubiläum feiern: Seit zehn Jahren wird er von Domkantor Michael Kaltenbach geleitet, der damit am längsten im Amt ist; vor ihm dirigierten Matthias Bartsch, der heutige Mainzer Domkapellmeister Karsten Storck, Andreas Bollendorf, Christoph Klemm und Harald Schmitt. Damals gab es allerdings kein so lautes Rauschen im Blätterwald wie 2022, als mit den Regensburger Domspatzen der weltweit älteste Knabenchor der Welt ein Mädchenensemble ins Leben rief. Warum auch? In Mainz war man offenbar 30 Jahre früher derart fortschrittlich und erfreut seitdem die Besucher von Gottesdiensten und Konzerten gleichermaßen.

Michael Kaltenbach ist stolz auf die jungen Damen – das merkt man, wenn er von der gemeinsamen Arbeit erzählt. Rund 140 musizieren aktuell im Hauptchor, 21 lernen die Grundlagen im Vorbereitungskurs, der Mädchen ab der dritten Klasse aufnimmt. Wie für den Domchor wird auch für den Mädchenchor an Grundschulen geworben. Wer mitmachen will, muss Zeit mitbringen: Geübt wird dienstags und donnerstags in Registerproben (also nur Sopran oder Alt) sowie im Tutti mit allen Stimmen. Haben die Mädchen das 14. Lebensalter erreicht, besteht die Möglichkeit im Vokalensemble zu singen. Dort werden anspruchsvolle Chormusik erarbeitet und auch oratorische Werke mit den anderen beiden Chören am Dom aufgeführt. Zusätzlich gibt es das Angebot der Choralschola für besonders engagierte und talentierte Sängerinnen.

Die Früchte ihrer Arbeit erleben die Sängerinnen vor allem in Konzerten, die sie auf Reisen nicht nur an große deutsche Kathedralen, sondern unter anderem bereits nach England, Spanien, mehrmals nach Rom und sogar bis in die USA führten. Erst jüngst nahm der Mädchenchor über Silvester zusammen mit dem Domchor und weiteren 4000 Jungen und Mädchen aus aller Welt am Festival „Pueri Cantores“ in Rom teil – mit Konzerten unter anderem in St. Ignazio, Audienz bei Papst Franziskus und Gottesdienst mit dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf im Petersdom.

Im Mädchenchor singen viele, bis sie 20 oder 21 sind und das Studium oder eine Ausbildung ihren Tribut fordern. Während Jungs zwischen zwölf und 14 Jahren einen deutlich hörbaren Stimmbruch erleben, wird auch bei Mädchen in diesem Alter das Organ etwas verhauchter, dunkler und damit erwachsener, gewinnt an Tiefe und Volumen. Anders als die Jungs pausieren die Sängerinnen während dieser Zeit nicht und erhalten weiterhin in kleineren oder größeren Gruppen wöchentlich Stimmbildung von ausgebildeten Musikpädagoginnen. Die Mitarbeit in den Jugendchören des Mainzer Doms fordert damit auch den Familien Zugeständnisse ab. Dass die hier mitziehen, registrieren Storck und Kaltenbach gleichermaßen dankbar.

Hat der Domkapellmeister den Knabenchor mal als „Königsklasse“ bezeichnet, zieht der Domkantor hier gerne nach und nennt den Mädchenchor selbstbewusst die „Königinnenklasse“. Denn auch hier gehe es nicht nur darum, Literatur auf hohem Niveau zu singen, damit die Liturgie zu feiern und im Konzert zu glänzen: „In beiden Chören lernen die Jüngeren von den Älteren und die singen mit den Kleineren bewusst auf Augenhöhe, wodurch eine homogene Gruppe entsteht“, erklärt Kaltenbach. Schließlich erlebten viele der Jugendlichen während ihrer Chorzeit das schwierige Alter der Pubertät: „Die Gemeinschaft und das gemeinsame Singen helfen ihnen jedoch dabei, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, zu formen und zu festigen.“

Aber was singt ein Mädchenchor eigentlich, „fehlen“ ihm doch die Tenöre und Bässe? Tatsächlich schrieben die alten Meister ausschließlich für Knaben- und Männerstimmen, da Frauen das Singen in den Gottesdiensten über Jahrhunderte untersagt war. Erst in der Romantik begannen Komponisten wie Josef Rheinberger, Felix Mendelssohn oder Michael Haydn, Werke nur für Oberstimmen zu schreiben. Aus neuerer Zeit gibt es sehr viel mehr Literatur. Und ansonsten greift Domkantor Kaltenbach eben zu Stift und Notenpapier, arrangiert vorhandene Stücke oder schreibt gleich selbst welche.

Abschließend sollen die jungen Damen das Wort haben, können sie doch am besten erklären, was das Tolle am Singen im Mädchenchor am Dom und St. Quintin ist. So sagt die 16-jährige Marie Fank, die seit fünf Jahren dabei ist: „Von klein auf singe ich sehr gerne und diese Freude mit anderen zu teilen, die genauso viel Spaß am Singen haben wie ich, gibt mir unglaublich viel. Auch hat mir der Chor geholfen neue Freundschaften zu schließen und mein Selbstbewusstsein zu stärken. Es ist einfach etwas ganz Besonderes einer Gemeinschaft anzugehören, die sich der Dommusik verschrieben hat.“ Für Mailin Adelfinger, 18 Jahre alt und bereits seit acht Jahren im Chor, ist das gemeinsame Musizieren das Größte. Durch die hier gefundenen Freunde würde das Singen noch viel schöner.

Annika Berger ist 19 und mehr als die Hälfte ihres Lebens im Mädchenchor: „Das eröffnet jedem Einzelnen unglaubliche viele Möglichkeiten: Man bekommt eine umfangreiche musikalische Ausbildung zu Gesangstechnik und Gehörbildung, es entwickeln sich Freundschaften, man lernt von- und miteinander, man darf an Hochfesten mitwirken und die Liturgie aus einem anderen Blickwinkel erleben“, erzählt die Sängerin, die als Mitglied des Elternbeirats die Interessen der Mädchen vertritt : „Die Proben sind ein beständiger Baustein in der Jugend und Konzertreisen ermöglichen einem über Grenzen hinaus, Menschen mit dem Gesang zu erfreuen und deren Dankbarkeit zu spüren, sowie verschiedene Länder und Städte kennenzulernen.“

Die 13-jährige Leandra Schorn schätzt am gemeinsamen Singen, dass sich die Mädchen dadurch sehr nahestehen: „Trotz der langen Tage an der Ganztagsschule freue ich mich immer auf meine Freundinnen und das gemeinsame Singen.“ Am schönsten hat es vielleicht Jule Plaul formuliert; die 16-Jährige ist seit sieben Jahren Mitglied im Mädchenchor am Dom und St. Quintin: „Diese Gemeinschaft bedeutet für mich irgendwie so etwas wie eine riesengroße Familie. Wenn wir zusammen Stücke einstudieren und das dann in einem Konzert oder Gottesdienst nach außen tragen, bin ich immer total stolz auf uns, weil wir uns das zusammen als Gruppe erarbeitet haben. Wenn ich daran denke, wie viele schöne Dinge wir schon zusammen erlebt haben, besonders auf Reisen, bin ich sehr dankbar, dass ich Teil so einer tollen Gemeinschaft sein darf.“

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