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Es muss nicht immer Bach sein

„Jauchzet, frohlocket“ – das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach gehört zum Repertoire jeder größeren Kantorei und steht nicht nur in Deutschland unzählige Male auf dem Spielplan. Allerdings ist der Begriff eher eine Erfindung der jüngeren Zeit. Bei BWV 248 handelt es sich um eine Sammlung von sechs Kantaten, die Bach weder als ein Werk konzipiert, noch jemals geschlossen aufgeführt hat: Sie waren „einzig“ der musikalische Part von sechs Gottesdiensten.

Warum also hat dieses Werk heute einen solchen Kultstatus? Ludger Remy, Dirigent und Musikhistoriker, will Bachs Musik ihre Qualität keineswegs absprechen, hat jedoch seine Probleme mit dieser „rückhaltlosen Verehrung“. Viele Hörer bräuchten offenbar eine „geistige Heimat“, die ihnen Bachs Oratorium biete: „Das kennt man und will es jedes Jahr aufs Neue hören.“ Die Volkstümlichkeit, das Strahlen der Trompeten und Pauken – die „Überregelmäßigkeit“, mit der diese Musik musiziert wird, lässt sich offenbar nicht nur an ihrer Qualität, sondern auch an ihrer emotionalen Komponente messen.

Einzelne Kantaten zur Weihnachtszeit hat aber nicht nur Bach geschrieben. Auch andere Komponisten des Spätbarock und der Frühklassik schufen solche: Georg Philipp Telemann (1681-1767), Johann Mattheson (1681-1764), Gottfried Heinrich Stölzel (1690-1749), Carl Heinrich Graun (1704-1759), Georg Gebel d. J. (1709-1753), Johann Heinrich Rolle (1716-1785) und Joseph Eybler (1765-1846). Würde man diese Werke jedoch heute auf den Spielplan setzen, müsste man (anders als bei Selbstläufer Bach) um ein Publikum bangen. Dies jedoch zu Unrecht!

Das CD-Label cpo hat es sich zur Aufgabe gemacht, bislang unbeachtete Vokalwerke mit erstklassigen Ensembles und unter der Leitung renommierter Spezialisten für Alte Musik aufzunehmen und hat diese in den vergangenen Jahren mit Partnern aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufgelegt. Die Vermarktung als „Weihnachtsoratorium“ soll dabei eher Neugier wecken, schließlich handelt es sich auch hier um Kantatensammlungen zur Weihnachtszeit. Gleichviel: Diese Werke eröffnen stilistisch durchaus eigene, spannende Welten.

Ludger Remy ist einer der Dirigenten, die sich mit Vorliebe an Unbekanntes heranwagen: Er spielte mit Solisten, dem Weimarer Barockensemble sowie dem Kammerchor und Telemann-Kammerorchester Michaelstein Kantaten von Rolle, Stölzel und Telemann ein. Die Reize dieser Musik liegen für ihn vor allem unter der klingenden Oberfläche: „Ein Oratorium ist für mich als Christ keine reine Kunst und keine Tapete für Gemüt und Seele, sondern immer eine Art Predigt mit Tönen.“ Deshalb betrachtet er Wort und Musik nicht losgelöst voneinander: „Dann wird das Oratorium zur ersten Interpretation.“

Nach Werken fahndet Remy nicht aktiv, sondern hält es nach eigenen Angaben mit Pablo Picasso, der sagte: „Ich suche nicht, ich finde.“ Dabei stolpert der Historiker „mehr oder minder von Entdeckung zu Entdeckung“. Solcher Musik nähern sich die Künstler dann wie einer zeitgenössischen Komposition, schließlich gibt es keine Vergleichsmöglichkeiten. Doch auch dieses „schöne, bürgerliche Gebrauchsmaterial des 18. Jahrhunderts“, wie Remy es ohne Geringschätzung nennt, regt zu eigenen Interpretationen wie Aussagen an – und enthält ergreifende Partien: „Ich bin immer wieder überrascht, wie solche Qualität schlicht vergessen werden konnte“, wundert sich der Dirigent. Eine Antwort wird auch der aufmerksame Hörer nicht geben können – wohl aber die Frage verstehen.

Auf CD
Das Label cpo hat von folgenden Komponisten – in alphabetischer Reihenfolge – Weihnachtsoratorien im Programm (erhältlich unter anderem bei https://www.jpc.de ):
Johann Sebastian Bach
Joseph Eybler
Georg Gebel d. J.
Carl Heinrich Graun
Johann MatthesonJohann
Heinrich Rolle
Gottfried Heinrich Stölzel
Georg Philipp Telemann

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