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Lars Reichow im Gespräch zu „Souvenir“

MAINZ/BERLIN – Der Mainzer Kabarettist Lars Reichow fühlt sich auf den viel besungenen Brettern, die die Welt bedeuten, durchaus zuhause. Abseits der gewohnten Kleinkunstbühnen-Bohlen schnuppert Reichow demnächst auch Theaterluft. Und zwar die Berliner. Gemeinsam mit seiner Kollegin Désirée Nick spielt er im Sommer im Renaissance-Theater Stephen Temperleys Stück „Souvenir“, die Geschichte der Florence Foster-Jenkins als deutsche Erstaufführung. Im Interview lüftet Reichow den Vorhang und erzählt von seiner beruflichen Weiterentwicklung.

Schreibwolff: Lars Reichow als Schauspieler – ist das eine berufliche Weiterentwicklung, ein neues Betätigungsfeld oder gar eine Abkehr vom Kabarett?

Lars Reichow: Wenn man etwas Neues beginnt, dann muss man sich Zeit dafür nehmen. Als Schauspieler habe ich ein paar Erfahrungen gesammelt, bevor ich auf die Kabarett-Bühne geklettert bin. Auf jeder Bühne kommt es auf dasselbe an: Glaubwürdigkeit und Spannung. Das Kabarett ist meine Heimat geworden, aber ich bewundere alle Künstler, die sich weiterentwickeln, die sich zerlegen und neu zusammensetzen. Also eine weiterentwickelte Abkehr vielleicht. Mein erstes Engagement als Schauspieler in Berlin – an einem der renommiertesten Theater der Hauptstadt – das konnte ich doch nicht ablehnen, oder? Das ist jetzt schon ein großer Gewinn für mich.

Schreibwolff: Was wird denn genau gespielt?

Lars Reichow: Das Stück heißt „Souvenir“ und ist von Stephen Temperley. Inhalt des Stückes ist die Biografie der Florence Foster-Jenkins, die im New York der 1940er Jahre als skandalumwitterte Millionärstochter zum großen Vergnügen ihres Publikums zuerst im Waldorf-Astoria, dann in der Town-Hall und schließlich in der Carnegie Hall als Sängerin auftrat. Foster-Jenkins ist wahnsinnig ambitioniert, aber leider hatte sie überhaupt kein Talent. Das Publikum erstickt fast vor Lachen und die Sängerin denkt, alle sind ergriffen und weinen deshalb. Das ist ein grandioses Missverständnis. Hoffentlich passiert mir das auf der Bühne nie!!!

Schreibwolff: Wie kommt es zur Zusammenarbeit mit Désirée Nick und dem Berliner Renaissance-Theater?

Lars Reichow: Der Intendant Horst Filohn rief mich im November an. Eigentlich wollte ich mich auf mein aktuelles Kabarettprogramm „Unterhaltungskanzler“ konzentrieren und das gar nicht machen. Aber die Rolle des Pianisten Cosme McMoon ist sowohl schauspielerisch als auch musikalisch sehr anspruchsvoll und Filohn und der Regisseur Torsten Fischer wollten mich unbedingt haben. Désirée Nick in der Rolle der Sängerin, die nicht hört, dass sie nicht singen kann, ist perfekt besetzt. Das Stück ist sehr komisch und wahnsinnig ergreifend. Das mag ich und deshalb verbringe ich einen Sommer in Berlin.

Schreibwolff: Können Sie ein bisschen mehr über Ihre Rolle verraten?

Lars Reichow: Ich spiele also den Pianisten Cosme McMoon, der die ganze Geschichte aus der Rückschau erzählt. Er berichtet von der ersten Begegnung mit ihr, dann taucht die Sängerin in Gestalt von Désirée Nick auf. So ist das Stück aufgebaut in Rückschau und Rückblende. Der Höhepunkt ist das Konzert in der Carnegie Hall und der anschließende emotionale Absturz. Meine Rolle zeigt eine Figur, die zunächst schockiert ist von der Unfähigkeit der Sängerin, diese dann aber immer mehr beschützen möchte und sich schließlich nichts anderes mehr vorstellen kann als die schrillen, falschen Töne. Das größte Risiko für mich ist, dass ich einen Tinnitus bekomme, weil sie so falsch singt.

Schreibwolff: Was reizt Sie an diesem Projekt?

Lars Reichow: Ich glaube, es sind mehrere Faktoren: Das Theater, an dem Mario Adorf, Ben Becker und Dominik Horwitz regelmäßig gastieren, das Stück mit dem interessanten Thema Musik, Wahrnehmung, Kunst und Kitsch, Aufstieg und Fall und natürlich die Zusammenarbeit mit Désirée, die man als Schauspielerin durchaus ernst nehmen kann. Torsten Fischer ist ein fantastischer Regisseur, er war Schauspieldirektor in Köln und inszeniert Theater und Oper an den großen deutschsprachigen Bühnen. Hinzu kommt die Option, damit nach Hamburg und Wien zu gehen. Eine Weiterentwicklung im besten Sinne des Wortes!

Schreibwolff: Ist die Vorbereitung auf die Theateraufführung eine andere als auf Ihre Soloauftritte als Kabarettist?

Lars Reichow: In Berlin lege ich jetzt die Verantwortung in die Hände des Regisseurs Torsten Fischer. Wir lesen, diskutieren, spielen, verändern, spinnen und improvisieren. Ich muss mich sehr anstrengen, eine Unmenge von Text auswendig lernen, den ich nicht geschrieben habe. Glücklicherweise ist ja mein Urpferdchen, der Flügel, an meiner Seite. Also kann mir nichts passieren.

Schreibwolff: Fällt es Ihnen als Solist leicht, sich auf andere Mitwirkende einzustellen?

Lars Reichow: Das ist eine gute Frage. Ich stehe schon lange alleine auf der Bühne und musste sie selten teilen mit anderen. Aber ich merke, dass mir das sehr leicht fällt, weil die Rolle eine stille Souveränität ausstrahlt. Damit kann ich sehr gut leben und meiner Partnerin ihre Diven-Rolle gönnen. Im Übrigen werden wir nur gemeinsam Erfolg haben und nicht, wenn jeder für sich seine Rolle gut spielt. Theater ist ein Gesamtereignis, voller unsichtbarer Linien, die gedacht und erlebt werden müssen.

Schreibwolff: Ihre Rolle in „Souvenir“ ist eine eher tragikomische; als Kabarettist wollen Sie nachdenklich machen, aber Ihr Publikum natürlich auch zum Lachen bringen. Können Sie sich auch als Darsteller ernster Rollen vorstellen?

Lars Reichow: Ganz sicher. Denn auch als Kabarettist suche ich – mehr als früher – die Komik aus der Tiefe der Empfindung. Das Böse, das Abgründige ist ein steter Begleiter des Guten, des Humors. Niemand kann das Glück tief empfinden, wenn er die Trauer nicht kennt. Ich liebe es, Balladen zu singen, bei denen den Zuhörern die Tränen in den Augen stehen und diese im nächsten Moment diese Tränen in Heiterkeit zu verwandeln. Das ist das, was alle brauchen: Ein Leben voller Abwechslung!

Schreibwolff: Wo liegen für Sie die Schnittpunkte und Unterschiede zwischen Kabarett und Schauspielerei?

Lars Reichow: Was ich jetzt in Berlin mache, ist ja eine Art von Schauspiel, die durchaus gesellschaftsnah ausfällt – das ist gehobenes Boulevard-Theater, aber kein Wallenstein! Und somit liegt das, was ich am Theater ausprobiere, sehr nah an dem, was ich sowieso bin. Schauspielerei und Kabarett haben in meinen Augen da eine Überschneidung, wo Leute sehr überzeugend in Rollen schlüpfen. Und das ist ja auch eine Frage der Kondition. Der Schauspieler taucht viel tiefer ein in die Figuren, er lebt in ihnen und spielt aus der Tiefe der Empfindung. Hier immer wieder neue Dimensionen zu ergründen und vor allem auch zuhören zu können, ist, glaube ich, wirklich spannend. Das Kabarett hat eine andere Nähe zum Publikum, Kabarettisten hängen mit einem Ohr im Publikum, weil sie die Reaktionen als Blutkonserven empfinden. Ich will ein Schauspieler sein, ein Sänger, ein Komiker. Gitte hat einmal gesagt: „Ich will alles!“ Dem kann ich mich nur anschließen.

Schreibwolff: Was Theater und Kabarett gemeinsam ist, ist die Bühne – sind das für Sie die Bretter, die die Welt bedeuten oder können Sie sich da mehr vorstellen?

Lars Reichow: Ich kann mir noch ganz viel vorstellen. Aber eins nach dem anderen. Ich habe eine große Familie und die möchte ich nicht vernachlässigen, egal was passiert. Denn ich glaube, dass Erfolg zwei Seiten hat: eine professionelle und eine private. Ich genieße meine Arbeit, die Vielfalt und vor allem die Ansammlung von Erfahrung. Das ist ein Wert an sich. Und wenn ich in Berlin erfolgreich bin, kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich allen anderen Zielen wieder etwas näher gekommen bin. Aber ich suche nicht. Finden ist besser. Und noch besser ist vielleicht nur noch: Gefunden werden!

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