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Michael Ehnert pinselt im „HeldenWinter“ cineastische Irrungen und Wirrungen auf die imaginäre Leinwand

Wenn man nach einem Kabarettabend nachdenklich nach Hause geht und trotzdem zuvor blendend unterhalten wurde, darf man ihn wohl als äußerst gelungen bezeichnen. Nichts anderes gelingt Michael Ehnert mit seinem zweiten Soloprogramm „HeldenWinter“, einem Ein-Personen-Epos mit mehrfachem Boden.

Schon der Anfang beginnt mitreißend: Wie im besten Hollywood-Reißer mimt Ehnert den Helden, der einen im Eis eingeschlossenen Walfisch ortet und mit Hilfe einer internationalen Eingreiftruppe aus seinem weißen Gefängnis befreit: Die Filmmusik tut ihr Übriges, bis sich der Schaffner im „ICE Heinrich Lübke“ meldet und den Drehbuchautor Ehnert mitten aus der soeben erschaffenen Szenerie schreckt.

Und somit ergreift der Kabarettist den roten Faden von „HeldenWinter“: Er soll ein großes Heldenepos entwerfen und hat offenbar schon alles in trockenen Tüchern. Wenn da nur nicht die Zweifel wären, die den Abend über am gefassten Vorhaben nagen: Warum muss ein Held immer Amerikaner sein? Kann er statt Theo Nathaniel Thornton nicht schlicht Thorsten Norbert Tengelmann heißen? Und warum ist die Action das höchste Gut? Wo bleiben Philosophie, Autobiographisches und die Anliegen von Greenpeace und Amnesty International?

Mit „HeldenWinter“ bürstet Michael Ehnert die westliche Unterhaltungsindustrie kräftig gegen den Strich. Doch damit nicht genug: Sein Theater hat nicht nur einen doppelten Boden, sondern gleicht einem cineastischen Irrgarten, hinter dessen Ecken und Hecken sich immer neue Offerten und Unmöglichkeiten auftun.

Im Zug Richtung Hamburg-Altona, den Ehnert immer wieder mit herrlichen Schaffnerparodien als Kulisse ins Gedächtnis ruft, schlüpft er bar jeder Requisite in stets neue Rollen: Da ist der schmierige Produzent, der wie der plötzlich auftauchende „Psychopat(h)e“ Francesco an Marlon Brandos Don Corleone erinnert, da ist ein kinskiesker Bistrokellner, der aus seiner Abscheu gegenüber Vegetariern keinen Hehl macht, da gibt es einen herrenloser Koffer und schließlich sind auch die Helden Thornton, Tengelmann und „Mel Schwarzenehnert“ samt Filmpartnerin „Starling“ mit von der Partie.

Die Verwirrung ist gewollt und durchaus als Stilmittel eingesetzt, wobei das Publikum mit allerlei Sinn und Nonsens konfrontiert wird: Gibt es ein Heldentum ohne Leidensweg? Wie kann man mit dem Wissen um die nationale Vergangenheit ein deutscher Held sein? Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Kann ein wahrer Held die Kopie eines anderen sein? Und wo findet man heute sein Idol? Im Fernsehen etwa? „Jede Generation hat ihren Alptraum: Versailles, Stalingrad, Stammheim – und bei uns waren es nur drei Programme!“, zappt sich Ehnert durchs spärliche Unterhaltungsangebot.

Michael Ehnerts „HeldenWinter“ ist auf jeden Fall mehr als ein rasantes und perfekt inszeniertes Theater: Wenn sich die Helden im Laptop des Drehbuchautoren plötzlich selber weiter schreiben, wird die unterschwellige Botschaft deutlich hörbar: Nur das Ich kann ein Held sein. Und zwar im eigenen Epos.

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