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„Red Priest“ treibt als freche Piratentruppe im geistigen Gut barocker Meister ein prächtiges „Unwesen“

WIESBADEN – Eigentlich ist Bachs Partita E-Dur (BWV 1006) ja ein Stück für Solovioline. Und eigentlich spielen in Tomasso Vitalis Chaconne auch nur Violine und Cembalo. Und eigentlich ist Barockmusik etwas Ernstes und sollte nicht im Piratenkostüm gespielt werden. Eigentlich.

Wenn aber ein Ensemble wie „Red Priest“ ein Programm namens „Pirates of the baroque“ spielt, dann ist alles erlaubt. Dann gelten nämlich andere Regeln, und zwar die der Freibeuter, die – im gar nicht einmal so übertragenen Sinne – mit ihren Instrumenten wie über schäumende Wogen gleiten und manche Klinge in Form von Geigenbogen und Flötenrohr kreuzen.

Piers Adams (Blockflöten), Julia Bishop (Violine), Angela East (Violoncello) und Howard Beach (Cembalo) sind die „Red Priests“ und allesamt begnadete wie begeisterte (und begeisternde!) Musiker. Sie selbst würden sich wahrscheinlich eher als Musikanten bezeichnen, wobei sie mit einer erfrischenden Vitalität an die barocke Behäbigkeit herangehen und diese kräftig gegen den Strich bürsten.

Schnell machen sie einem musikalisch ein „E“ als „U“ vor, so dass sie von der internationalen Presse auch schon mal als die „Rolling Stones der Alten Musik“ bezeichnet wurden. Kurz: „Red Priest“ pustet den Staub von der Partitur und setzt bekannte wie unbekannte Klänge in eigene wie eigenwillige, rasante Arrangements um.

Das Meer und die darauf segelnden Piraten haben sich die Musiker aus England auf die flatternden Fahnen geschrieben. Blutrot angetan mit Kopftuch und Korsett, Schärpe und Stirnband zeigen sie auch optisch an: Hier sind Seeräuber unterwegs und bedienen sich frech am geistigen Gut barocker Meister.

Eine Vorgehensweise, wie sie seinerzeit übrigens Gang und Gäbe war: Die berühmte „Aria Amorosa“ von Händel hatte dieser vom Kollegen Reinhard Kaiser abgepinselt und das Barockstück schlechthin, nämlich das berühmte Adagio von Albinoni wurde erst in den 1940ern vom italienischen Musikwissenschaftler Remo Giazzotto gesetzt. Die Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts beklauten einander wie die Raben und schrieben wie Bach auch bei sich selber eifrig ab.

Daher ist auch bei den Piraten von „Red Priest“ alles erlaubt: Sie arrangieren Solostücke in vierstimmige Sätze um und spielen klangintensiv besonders in den atemberaubenden Tempi transparent, homogen und virtuos: Nicht nur in der Sonate c-moll op. 5 Nr. 2 von Giovanni Paulo Simonetti, die einen Sturm über dem Meer beschreibt, ist für die Musiker jede Note gleich wichtig, egal ob sie tragenden Charakter besitzt oder „nur“ zur Überleitung dient. Mit berauschendem Accelerando treiben Adams und seine „Truppe“ die Agogik elegant bis zum Äußersten und zögern nicht, geradezu theatralische Szenen in Vivaldis Concerto G-Dur „La Tempesta die Mare“ einzubauen.

Einer von unzähligen Höhepunkte ist auch „La Jour des Pirates“, der Tag im Leben der Piraten von François Couperin, in dem ein frischer Wind zur Fahrt bläst, die Instrumente mit furchtbar detonierenden Glissandi das Seufzen der verwundeten Kämpfer nachahmen oder das fesche Werben der Seeräuber um die Hafendirnen geradezu plastisch in Klang umgesetzt wird.

Barockmusik hat ja schon viele mehr oder weniger Berufene zur Bearbeitung inspiriert, denkt man nur an den genialen Jacques Loussier oder an die Kulturschänder von „Rondo Veneziano“; „Red Priest“ jedoch erweist den adaptierten Werken mit einer klangtrunkenen und auf eine erfrischend respektlose Art doch den höchsten Respekt, indem das Ensemble eben diese Musik neu belebt und auch für jüngere Hörer interessant macht.

Freude am Spiel und an der barocken Musik, an deren Bearbeitung und kecker Umsetzung springen den Zuhörer bei jeder gespielten Note geradezu an, packen ihn und lassen ihn lange nicht los, auch wenn der letzte Ton bereits verklungen ist. Und eigentlich sollte es ja auch genau so sein!

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