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Bewusst genießen

Dass der Weinkonsum rückläufig ist, macht die Branche ohnehin schon längere Zeit nervös. Daher war man zusätzlich aufgeschreckt, als die Weltgesundheitsbehörde 2024 meinte, bereits jeden Schluck Alkohol (und damit eben auch den Wein) als grundsätzlich toxisch verteufeln zu müssen. Dem schloss sich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung an und auch der Entertainer und Fernsehdoktor Eckart von Hirschhausen forderte in einer ARD-Sendung vollkommenen Verzicht.

Grund genug für den Mainzer Weinsenat e. V., sich fachkundigen Rat zu holen, wofür der regionale Interessenverband zur Förderung der Weinkultur Prof. Dr. Ralf Kiesslich eingeladen hatte. Der Mediziner ist seit Januar Vorstandsvorsitzender sowie Medizinischer Vorstand der Universitätsmedizin Mainz und von Haus aus Gastroenterologe, weiß also um Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, der Leber, der Gallenwege sowie der Bauchspeicheldrüse und damit auch über Wirkung und Risiken des Weinkonsums Bescheid. Im Gutenberg-Digital Hub im Zollhafen referierte er jetzt vor interessiertem Publikum.

Die schlechte Nachricht vorweg: Das Zellgift Alkohol ist mitverantwortlich für Krebserkrankungen. Und der Konsum kann sich verkürzend auf die Lebenszeit auswirken. „Wir wollen alle glücklich und gesund leben sowie eingebunden sein in soziale Kontakte“, sagt der Mediziner. Dazu gehöre auch der Genuss – ob von Alkohol, müsse sich jeder selbst fragen und dabei reflektieren, wann und warum er wie viel davon zu sich nehme. Eine nachweisbare unschädliche Menge gebe es schlicht nicht.

Studien, nach denen 100 Gramm Alkohol, also umgerechnet ein Liter Wein, pro Woche noch unbedenklich sind, widerspricht die WHO-Studie natürlich vehement. In Deutschlang liegt der wöchentliche Pro-Kopf-Konsum laut „Jahrbuch Sucht“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) im Durschnitt mit 189 Gramm deutlich über dem Grenzwert.

Kiesslich zitierte Studien, laut denen selbst moderater Alkoholgenuss das Leben um etwa drei Jahre verkürze; allerdings steige auch bei einem Abstinenzler im fortgeschrittenen Alter die Gefahr, an bestimmten Krebsarten zu erkranken: „Hier handelt es sich um eine ganz persönliche Risikoabwägung.“ Gesunde Ernährung und sportliche Aktivität seien Faktoren, mit denen man einer möglichen Gefährdung durch moderaten Weinkonsum begegnen könne: „Man muss immer den Gesamtzusammenhang sehen.“

Zufriedenheit und Wohlbefinden liegen laut Kiesslich auch am ökonomischen Status, wobei weitere Studien zeigten, dass Alkoholprobleme eher bei Menschen in prekären sozioökonomischen Verhältnissen aufträten. Und: Das Überschreiten eines gewissen finanziellen Sättigungspunkts führe wiederum zu Einbußen bei der langfristigen Lebenszufriedenheit. Am gesündesten seien nachweislich diejenigen Menschen, die in einer sozialen Beziehung lebten, was die mit 75 Jahren bislang längste medizinische Studie beweise.

Bezüglich der strengen WHO-Meinung also teilweise Entwarnung? Ja, wenn man bewusst, in guter Gesellschaft, verantwortungs- und vor allem maßvoll sowie mit Pausen konsumiert, so die Erkenntnis des Abends. Dass die Weinsenatorinnen und -senatoren nicht befürchteten, von ihrem prominenten Gast eine grundlegend abweichende Meinung zu hören, war indes bereits der Einladung zu entnehmen: Dort freute man sich nämlich schon zuvor „auf einen weiterführenden Abend – natürlich auch mit einem Glas Wein …“

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