Das Glas als Instrument
Das Angebot an Weingläsern ist riesig: Es gibt sie mit und ohne Stiel – und manchmal auch mit und ohne Stil. Aber was muss ein richtig gutes Weinglas eigentlich leisten und welchen Einfluss hat das Gefäß auf das darin befindliche Getränk? Im Interview erzählt Lisa Müller, Director Brand & Product Management bei Zwiesel Glas, über die Herausforderung, das „perfekte Glas“ zu kreieren.
Frau Müller, was ist das perfekte Weinglas?
Lisa Müller: Das richtige Glas ist essenziell, um das volle Potenzial eines Weins oder Champagners zu entfalten. Oder andersherum formuliert: Das falsche Glas kann einen guten Wein fad oder im schlimmsten Fall sogar nahezu ungenießbar machen, beispielsweise weil durch die Form des Kelchs nur der Alkoholgeruch und -geschmack auf unsere Rezeptoren trifft. Ein Glas ist nicht einfach nur ein Gefäß – es ist ein Instrument, das die Aromen, die Textur und den Geschmack eines Getränks lenkt und verstärkt. Die Glasform muss daher auf die Charakteristik der jeweiligen Rebsorte oder des Schaumweins abgestimmt sein. Hier spielen Aspekte wie Wandstärke, Glasgröße und Mundranddurchmesser eine große Rolle.
Warum sollte man Wein überhaupt aus Weingläsern trinken?
Lisa Müller: Das Glas hat Einfluss auf die sensorische Wahrnehmung als auch die chemischen Eigenschaften des Weins. Weingläser sind so gestaltet, dass sie die Aromen des Weins optimal zur Geltung bringen. Der schmale Hals von Weißweingläsern konzentriert beispielsweise die fruchtigen Aromen, bündelt die Duftmoleküle und leitet sie intensiver zur Nase. Die breiten Kelche von Rotweingläsern bieten hingegen eine größere Oberfläche, die es dem Wein ermöglicht, mit Luft in Kontakt zu treten und seine Tannine zu mildern. Rotweine benötigen mehr Sauerstoff, um ihre komplexen Aromen zu entfalten. In einem großen Glas kann der Wein „atmen“, was zu einem weicheren und volleren Geschmack führt.
Worauf sollte man bei der Wahl von Weingläsern achten?
Lisa Müller: Für „Alltagsanwender“ ist ein Sortiment bestehend aus einem etwas bauchigeren Rotweinglas, einem Weißweinglas, das etwas kleiner ist, einem schmäleren Sektglas und einem Wasserbecher ausreichend. Zudem kann man überlegen, ob der Weißwein nicht sogar das Rotweinglas verträgt. Für Weinkenner empfehlen wir ein differenzierteres Sortiment, das auf die jeweiligen Rebsorten abgestimmt ist.
Warum gibt es unterschiedliche Glasformen für verschiedene Weinsorten?
Lisa Müller: Wie bereits ausgeführt ist die Glasform ausschlaggebend für die Entfaltung der Aromen des Weines. Durch sie kann aber auch gesteuert werden, wo diese schließlich im Mund auftreffen: Auf der Zunge schmecken wir nur süß, sauer, bitter und salzig. Alles andere kommt über die Nase, wie beispielsweise Erdbeeren oder Kirschen oder typischerweise Paprika bei einem Riesling. Das lässt sich ganz leicht selbst ausprobieren: Hält man sich die Nase beim Trinken zu, schmeckt man nichts! Entscheidend ist die Breite und Enge des Mundrandes, denn er bestimmt, wo die Aromen auf Nase und Gaumen treffen und vor allem wie die Aromen gebündelt werden. Beim Riesling kommt eher die Säure durch, die dann den Speichelfluss anregt und für „Trinkfreude“ sorgt. Beim Bordeaux ist es eher die Fruchtigkeit, die bitteren Tannine kommen später. Gesteuert wird das durch die Glasform, die Enge oder Weite der Öffnung und die Länge des „Kamins“. Damit bezeichnet man den Glasabschnitt zwischen Glasrand und „Schulter“, dem unteren Teil des Glases oberhalb des Stiels. Zusammengefasst ergibt sich: Die Schulter reguliert, wie sich der Wein im Glas entfaltet und der Kamin, wie der Wein im Mund auftrifft und welche Rezeptoren er in Mund und Nase anregt.
Nach welchen Kriterien entwickelt Zwiesel Glas sein Sortiment?
Lisa Müller: Ein Trend, den wir seit einigen Jahren beobachten, ist, dass Optik und Haptik von Gläsern eine immer größer werdende Rolle spielen. Die Anwender wollen das Glas spüren und gehen spielerisch mit ihm um. Das haben wir bei zahlreichen unserer Neuentwicklungen der vergangenen zwei Jahre berücksichtigt und darauf beispielsweise mit Designelementen im Stiel und in der Bodenplatte geantwortet. Kunden legen Wert auf „das Besondere“ und greifen daher vermehrt zu handgefertigten Wein- und Bar-Gläsern. Handgefertigte Weingläser sind zudem besonders dünnwandig, wodurch der Widerstand zwischen Gaumen und Wein geringer ist, was den Genuss zusätzlich intensiviert
Nun hat man ja nicht immer das ganze Arsenal zur Hand: Gibt es ein Allround-Weinglas? Und wenn ja: Was zeichnet es als solches aus?
Lisa Müller: Wir bemerken seit einiger Zeit eine steigende Nachfrage nach sensorisch gut funktionierenden Allround-Gläsern. Aus diesem Grund ist ein solches Glas Bestandteil in den meisten unserer Serien. Wenn ich weder ein großer Weinkenner bin, noch den allergrößten Platz zur Verfügung habe, dann ist ein Allroundglas, das einen Querschnitt aus unseren unterschiedlichen Glasformen und größen abbildet, wohl der perfekte Begleiter. Grundsätzlich lässt sich ein Trend zu möglichst unkompliziertem Genuss ausmachen, gern auch mal aus Bechern statt Stielgläsern. Auf diese Nachfrage antworten wir mit unserer Weinbecher-Serie „Level“: Drei Größen mit je einer hochfunktionalen, sensorisch getesteten Stufe passen nicht nur für Rot, Weißwein und Sekt, sondern auch für Wasser, Cocktails, Säfte, Soft Drinks und vieles mehr. Wer mag, kann darin sogar stilvolle Desserts servieren. Das spart Platz und Budget.
Worin unterscheiden sich Ihre einzelnen Linien?
Lisa Müller: Zwiesel Glas hat durch sein breites Portfolio und die beiden Marken Schott Zwiesel und Zwiesel Glas das richtige Glas für jedes Bedürfnis im Sortiment: vom rein funktionsorientierten Glas für die breite Anwendung über Premiumgläser in verschiedenen Designs, Preislagen und aus unterschiedlichen Produktionsverfahren bis hin zu den exklusivsten Manufakturgläsern, die den ganz besonderen Anlass zelebrieren. Produkte der Marke Schott Zwiesel sind der Einstieg in die Welt der hochqualitativen Gläser, während Produkte der Marke Zwiesel Glas – hand- und maschinengefertigt – das Premiumsegment abbilden.
Stellen die Form und Feinheit eines Weinglases eigentlich besondere Herausforderungen im Produktionsprozess dar?
Lisa Müller: Absolut! Bei der Maschinenfertigung gibt es beispielsweise Grenzen bei der Dünnwandigkeit des Glases und des Stiels. Hauchdünne Gläser kann man nur in Handarbeit produzieren. Es gibt auch besondere Stiele, beispielsweise mit Farbeinschluss oder speziellen Mustern, die so nur in unserer Manufaktur gefertigt werden können. Bei „Duo“, unserer Neueinführung aus dem vergangenen Jahr, kommen diese beiden Welten zusammen: Die Serie wird in einem Hybridverfahren gefertigt und kombiniert das Beste aus Hand- und Maschinenfertigung. Die Oberteile der Stielglas-Serie werden von Maschinen mit absoluter Präzision in Zwiesel gefertigt. Die zarte Kuppa, also der Kelch, vermittelt Leichtigkeit und Stabilität und sorgt durch getränkegerechte Formen in exklusivem Design für sensorischen Hochgenuss. Besonders fein liegen der von Glasmachern in Ungarn, in einer der weltbesten und größten Manufakturen erschaffene, hauchdünne und dennoch stabile Stiel und die weite Bodenplatte in der Hand.
Zum Schluss noch eine Frage zum Sektglas: Sommeliers empfehlen, Sekt aus Wein- statt aus Sektgläsern zu trinken. Wie stehen Sie dazu, schließlich hat Ihr Unternehmen ja auch verschiedene Sektgläser im Angebot? Was muss man hier beachten?
Lisa Müller: Schaumwein ist ein sehr vielseitiges Produkt, das in seiner Struktur besonders sensibel ist. Früher wurde er hauptsächlich in schmalen, hochgezogenen Flöten oder flachen Champagnerschalen serviert. Beide Glasformen haben jedoch ihre Vor- und Nachteile: Während die Flöte die Perlage erhält, können sich die Aromen nicht voll entfalten. Die Champagnerschale lässt die Bubbles hingegen schnell entweichen. Heute empfehlen wir ein eher tulpenförmiges Glas oder eine spezielle große Kelchform. Diese Gläser haben eine breitere Schulter und verjüngen sich leicht nach oben, was den Champagner atmen lässt und die Aromen besser zur Geltung bringt.