Heinz Becker mal ohne Kapp‘
„Ohne Kapp‘ – undenkbar“ hieß das zwölfte Programm des Kabarettisten Gerd Dudenhöffer, in dem er seine Kunstfigur Heinz Becker auf die Bühne schickt. Für Schreibwolff.de hat er die Kapp‘ mal abgenommen, um im Interview über sein Anliegen als Kabarettist zu sprechen.
Schreibwolff: Manchmal geben Politiker dem Kabarett unglaublich tolle Steilvorlagen. Einer wie Thilo Sarrazin war doch für Heinz Becker sicherlich sehr inspirierend?
Gerd Dudenhöffer: Nach der Sommerpause habe ich das Thema natürlich ins Programm genommen, wobei die Schwierigkeit ist, dass Becker Sarrazin eigentlich Recht gibt. Wenn ich das jetzt 1:1 wiedergebe, unterstreiche ich die Aussagen ja nur. Also muss ich noch eine andere Ebene einbauen. Becker hat ja keine eigene Meinung, sondern gibt als Echo nur das wieder, was er selbst hört. Und das ist oft sehr schwammig formuliert, wodurch man merkt, dass sich Becker überhaupt keine eigenen Gedanken macht. Wenn er sagt, dass ein Juwelier Türkisch lernen müsste, damit er beim Überfall weiß, was der Räuber will, dann ist das natürlich erst mal sehr oberflächlich. Aber es zeigt doch auch, dass wir uns Gedanken machen müssen, wohin sich eine Gesellschaft entwickelt. Der Kern dieser Aussage liegt also nicht im platten Witz über Ausländer, sondern in der Aufforderung, selbst zu hinterfragen. Als ich Heinz Becker fragen ließ, ob jemand sein Kind mit Behinderten spielen lassen würde, haben Menschen den Saal verlassen – dabei habe ich die gleiche Diskussion kurz vorher im Radio gehört und in mein Programm aufgenommen.
Schreibwolff: Wie viel Becker steckt in Dudenhöffer – und umgekehrt?
Gerd Dudenhöffer: Wie viel James Bond steckt in Sean Connery? Nichts wahrscheinlich, denn er spielt eine Rolle. Wenn man aber oft hintereinander eine Figur wie den Heinz Becker spielt, dann muss man sich da auch hineindenken. Ich kann mich ja nicht auf die Bühne stellen und sagen: „Jetzt zeige ich Euch mal, was Ihr da für dummes Zeug erzählt.“ Aber persönlich habe ich mit dem Heinz Becker nichts zu tun und nutze die Figur nicht, um endlich mal meine Meinung zu sagen – das wäre ja fatal! Nehmen wir doch noch mal Thilo Sarrazin: Mich erstaunt nicht so sehr das, was er sagt, sondern wie damit umgegangen wird – und zwar von uns! In einem anderen Land wäre da längst nicht so ein Rummel drum entstanden. Erinnern Sie sich doch mal daran, wie Margareth Thatcher damals vor der Wiedervereinigung gewarnt hat: Kohl würde ein zweiter Hitler! Wenn einer bei uns so etwas über ein Nachbarland gesagt hätte, wäre die Nato einmarschiert! Sollte zum Beispiel jemand sagen, er findet Hitler gut, dann muss man mit ihm diskutieren und versuchen, ihn mit Argumenten zu überzeugen – und das kann ja durchaus gelingen. In diesem Fall wollte man aber gar nicht erst zuhören, dabei hat auch ein Thilo Sarrazin das Recht, seine Meinung zu äußern. Und zwar auch, wenn es Schwachsinn ist. Aber jemanden sofort auszugrenzen – wie die Parteienlandschaft anfangs mit den Linken umgegangen ist, war das Gleiche – das ist keine Option, die uns weiterbringt.
Schreibwolff: Wo könnten die Ursachen für diese kommunikative Verweigerungshaltung liegen?
Gerd Dudenhöffer: Wir wissen doch viel zu wenig – Heinz Becker natürlich mit eingeschlossen. Das wird deutlich, wenn er Themen kommentiert: Die deutsche Wiedervereinigung bedeutete für ihn: Da hat jemand die Mauer aufgemacht und wir müssen das jetzt bezahlen. Er denkt gar nicht darüber nach, welch hochdramatische Entwicklung der Grenzöffnung vorangegangen ist. Wir sollten diesen Fehler nicht machen…
Schreibwolff: Wie wohl fühlen Sie sich in der Rolle des Heinz Becker, der ja einem modernen Till Eulenspiegel gleicht, wenn er den Leuten unbarmherzig komisch den Spiegel vorhält?
Gerd Dudenhöffer: Ich habe viel Spaß an dieser Rolle! Reizvoll ist hier vor allem das Spiel mit den verschiedenen Ebenen. Wenn Heinz Becker sich wünscht, dass mal einer käme, der wieder für Ordnung sorgt, dann dürfen die Leute auch darüber lachen – wobei sich das Publikum viel zu selten traut. Wenn ich als Gerd Dudenhöfer einen Vortrag über Geschichte halten würde, wäre das doch viel zu langweilig. So lange ich den Eindruck habe, dass das, was ich mit der Kunstfigur Heinz Becker erreichen will, auch ankommt, werde ich an meinem Konzept nichts ändern. In jüngster Zeit glaube ich, dass man ihn besser versteht, weil man ihm innerlich Kontra gibt. Und so soll Kabarett und Satire ja funktionieren. Im Osten ist das Publikum hierfür übrigens viel offener als im Westen – die lachen viel mehr über die Oberflächlichkeit, für die Heinz Becker steht.
Schreibwolff: Wie kam es eigentlich zu dieser Figur?
Gerd Dudenhöffer: Das war reiner Zufall! Natürlich kann man diese Figur auch konstruieren – aber dann hat man sie auch schnell wieder reglementiert, wodurch das Anliegen auf der Strecke bleiben kann. Ich habe eine bestimmte Szene beobachtet, als zwei Grafiker-Kollegen bei mir damals eine Holzdecke einzogen – damals musste man so etwas einfach haben. Und die Kommunikation zwischen diesen beiden war unglaublich: Man hat permanent miteinander geredet, dabei aber nichts gesagt. So ist der Heinz Becker entstanden, der ja auch in der Fernsehserie „Familie Heinz Becker“ vorkam.
Schreibwolff: Aber der heutige Heinz Becker auf der Bühne und das Familienoberhaupt sind ja nicht identisch…
Gerd Dudenhöffer: Nein. „Familie Heinz Becker“ war eher lustig: Da ist der Heinz ausgerutscht, hat das Milchkännchen nicht aufgekriegt – so was eben. Und hier habe ich anfangs nicht aufgepasst, weil ich davon überzeugt war, dass die Leute merken, dass Heinz Becker eine Kunstfigur ist. Die gab es ja schon zehn Jahre vorher, davon fünf Jahre mit der Unterstützung von Jürgen von der Lippe und der Sendung „So isses“. Aber als wir die „Familie Heinz Becker“ als Theaterstück auf die Bühne gebracht haben, merkte ich, dass die Leute nicht differenzierten und die abgründigen Absichten der Kunstfigur nicht hören wollten. Dabei steht meine Figur eben nicht für eine heile Familie.
Schreibwolff: Wenn man sich den Heinz Becker anschaut, hat man den Eindruck, dass es nichts Boshafteres gibt, als einfach die Wirklichkeit wiederzugeben. Loriot hat das auf eine liebevolle Art zur Meisterschaft gebracht. Sehen Sie hier Parallelen zu Ihrer Arbeit?
Gerd Dudenhöffer: Loriot karikiert mehr, während ich eher ein realistischer Zeichner bin. Aber von der Vorgehensweise, von der Auffassung von Humor her, sind wir uns sehr ähnlich. Ich hatte ja die große Ehre, im Kinofilm „Papa ante portas“ mitzuspielen und da haben wir uns sehr oft unterhalten, wobei wir viele Gemeinsamkeiten entdeckten.
Schreibwolff: Die Äußerungen der Kunstfigur Heinz Becker sind nicht unumstritten und viele, vor allem Zeitungsrezensenten, bekommen sie nicht selten in den falschen Hals. Ist Heinz Becker zu laut?
Gerd Dudenhöffer: Nein, aber er wird leider viel zu oft falsch verstanden. Heinz Becker ist eine Kunstfigur, das darf man nie vergessen. Und diese Kunstfigur redet genau so wie die Leute draußen auf der Straße oder meinetwegen auch am Stammtisch. Oft haben sich Zuhörer darüber aufgeregt, wie der Kabarettist Gerd Dudenhöffer mit seiner Figur Heinz Becker Witze über Ausländer oder Behinderte machen kann. Aber das stimmt ja gar nicht! Ich mache mich über niemanden lustig – und auch Heinz Becker nicht. Natürlich erzählt er mal einen Witz – aber eigentlich macht er sich nur seine Gedanken, die eben ungefiltert geäußert werden und daher mit Recht für Empörung sorgen.
Schreibwolff: Welche Absicht steckt dahinter, wenn Sie sich die Kapp‘ von Heinz Becker aufsetzen?
Gerd Dudenhöffer: Ich mache mir im Vorfeld immer sehr viele Gedanken, ob ich was sagen kann und ob ich das muss. Früher war ein Programm gut, wenn die Leute am Abend gelacht haben. Das hat sich genau umgedreht. Natürlich gibt es auch weiterhin Gags und Kalauer – aber der Inhalt, die Aussage hinter der oberflächlichen Plattitüde steht jetzt im Vordergrund. Ein Kritiker machte mir mal ein großes Kompliment, als er schrieb, als Zuhörer würde man immer schwanken. Bei mir muss man im Hochsommer mit Glatteis rechnen, denn ich arbeite auf der Bühne mit mehreren Ebenen und will mit Heinz Becker in erster Linie nicht unterhalten, sondern zum Nachdenken anregen. Und das eine schließt das andere ja nicht aus…
Schreibwolff: Wie entstehen eigentlich Ihre Kabarettprogramme?
Gerd Dudenhöffer: Es gibt zwei Phasen – eine langfristige, in der ich alles aufschreibe oder in mein Diktiergerät spreche, das ich immer bei mir habe. Hier gibt es verschiedene Rubriken: Kalauer, Politik, Wirtschaft, Religion. Das hängt dann wie eine Wandzeitung in meinem Zimmer an einer Wäscheleine. Und das lese ich immer mal wieder durch und sammele eben erst mal. Und dann setze ich mich hin und fange an zu schreiben, überlege, was Heinz sagen könnte und lasse hierbei durchaus eigene Befindlichkeiten einfließen – ob ich jetzt müde bin oder erst mal eine Tasse Kaffee trinken möchte. So bekommt Heinz Becker ganz unbewusst etwas Authentisches. Getestet werden die Nummern dann erst mal vor dem familiären Publikum. Ich habe hier einen Schreibplan und versuche, jeden Tag zwei Minuten des Programms fertigzustellen – zwei Mal 15 Tage für eine Stunde Programm, das dann natürlich durch aktuelle Themen ergänzt wird.
Schreibwolff: Welche weiteren künstlerischen Zukunftspläne haben Sie?
Gerd Dudenhöffer: Im April 2011 startet mein neues Programm mit dem Titel „Sackgasse“. Wobei ich auch weiterhin wieder verstärkt die kleinen Häuser und Bühnen bespielen will. Hier ist die Stimmung viel intensiver und das Publikum ist neugieriger, offener und auch mehr bereit, das Gehörte zu reflektieren. In großen Hallen will man über den Heinz Becker lachen, was zeigt, dass ich hier oft einfach falsch verstanden werde. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich hier in der Schweiz – damals spielte ich vorwiegend in großen Hallen vor 800 bis 1.200 Gästen. Und hier waren es jetzt 80! Und ich fragte erst mal: „Wie jetzt, 80? 80.000?“ Aber das war ein so toller Abend und ich habe mich an meine Anfänge erinnert, wo ich auf kleinen Bühnen gespielt habe: Da kommt die Figur von Heinz Becker doch her – und da muss sie auch wieder hin!
Die Besprechung von Gerd Dudenhöffers Bühnenprogramm „Kosmopolit“ finden Sie unter http://www.schreibwolff.de/kleinkunst/gerd-dudenhoeffer.