Von Heißhunger und Weißglut
Der Kabarettist Dieter Nuhr hat einmal in einem seiner Programme unwiderlegbar die direkte Abstammung des Deutschen vom Neandertaler bewiesen, denn kaum klettere das Thermometer über 25 Grad Celsius, mache man hierzulande im Garten ein Feuer an – um zu grillen. Was Nuhrs Publikum zum Johlen bringt, ist doch des Nachdenkens wert: Warum grillt der Mensch gerne?
Denn es ist ja nicht nur der Germane, der Sommers die Steaks auf den Rost haut: Der Amerikaner liebt sein Barbecue genauso. Und trotzdem ist das Grillen irgendwie etwas typisch Deutsches. Aber spätestens seit der WM im vergangenen Jahr darf man auf seine nationalen Eigenheiten ja wieder stolz sein, weswegen wir uns heute mal mit geschwellter Brust dem Thema Grillen nähern wollen, ohne uns am heißen Rost die Finger zu verbrennen.
Das Grillen unter freiem Himmel weckt immer bunte und sommerliche Assoziationen: Lagerfeuerromantik, geselliges Beisammensein, Essen um des Gaumenkitzels willen, ein frisch gezapftes Pils oder leichte Sommerweine (siehe hierzu auch die Ergebnisse unserer Degustation ab Seite …) – solche Bilder stellen sich ein und lassen sehnsüchtig den Feierabend erwarten, denn auch dafür steht Grillen: Feiern am Abend, mit der Familie, mit Freunden oder Kollegen – Hauptsache, das Wetter stimmt.
Woher kommt aber eigentlich das Grillen? Tatsächlich wird man bei den alten Römern fündig (und weiß das selbstverständlich noch aus der Schule…): Grillen kommt vom lateinischen „craticulum“, was so viel heißt wie „Flechtwerk“ oder eben „kleiner Rost“. Das Grillen oder Braten über offenem Feuer ist wahrscheinlich die älteste und ursprünglichste Methode des Garens, da sie außer einem Spieß kein Kochgeschirr verlangt.
Rein physikalisch betrachtet wird beim Grillen Fisch, Fleisch oder Gemüse durch Wärmestrahlung gegart und an der Oberfläche geröstet. Da hierbei die Temperatur nicht einfach zu kontrollieren und die Zugabe von Fett und Flüssigkeit über offenem Feuer schlecht möglich ist, eignen sich nicht alle Nahrungsmittel gleich gut: Fleisch sollte nicht zu mager, Fisch von fettreichen Arten mit festem Fleisch stammen und Gemüse leicht vorgegart oder mariniert sein.
Der kulturelle und technische Hintergrund wären also schon einmal geklärt. Doch wem außer Bratwurst, Steak und vielleicht noch der Folienkartoffel nichts zum Grillen einfällt, gleicht zumindest kulinarisch dem erwähnten Neandertaler. Denn Grillen ist mehr! Und in gewisser Weise auch weniger, wenn es um die Arbeit geht: Für leckere Gerichte braucht es in der Regel nur ein wenig Vorbereitung – alles andere funktioniert meist im Handum-drehen und man kann sich beim Brutzeln seinen Gästen widmen, anstatt stundenlang in der Küche zu rotieren.
Nehme man einmal schlichte Lachssteaks mit Limetten und Dill: Da zupft man den Dill, verrührt ihn mit gutem Olivenöl, das man vorher mit Meersalz und weißem Pfeffer gewürzt hat, bestreicht die Lachssteaks damit und grillt den Fisch auf beiden Seiten gute fünf Minuten – mit den Limetten, Baguette oder Kartoffeln servieren und fertig! Kochen kann so einfach sein. Das gilt auch für bunte Variationen – warum nicht einfach mal Wurst oder Fleisch mit Gemüse kombinieren? Aufgespießt lassen sich hier leicht optisch ansprechende Köstlichkeiten zaubern und übrigens auch ohne viel Aufwand vorbereiten.
Was aber macht ein Vegetarier, der zu einer Grillparty eingeladen wird (und was macht der Gastgeber, wenn er vermeiden möchte, dass der Eingeladene bereits am Gartentor angewidert Reißaus nimmt)? Auch hier gibt es leckere Ideen, übrigens abseits von Tofuschnitzel und Grünkernfrikadellen, die für den Liebhaber eines gut abgehangenen Schweinenackensteaks ungefähr den Charme von entalkoholisiertem Wein haben. Vegetarier brauchen sich bei Weitem nicht den Abend über einzig am grünen Salat zu weiden. Wenn man ein bisschen kreativ ist, kann man durchaus pfiffige Gerichte auf den Rost bringen.
Auberginen lassen sich gut grillen und mit einer Creme aus Butter, Parmesan, Knoblauch und Semmelbröseln bestreichen. Die erwähnten Spieße eignen sich natürlich auch hervorragend für das Garen von Pilzen, Paprika, Zucchini, Zwiebeln und anderem Gemüse; dazu passt würzige Butter mit Senf und Honig, Tomaten, Minze oder Kapern. Die schmeckt auch gut zur Folienkartoffel, wie auch eine leckere Mousse aus Crème fraîche, grobkörnigem Senf, Knoblauch und frischer Kresse.
Etwas aufwendiger sind da Käsepäckchen mit Schafskäse, Knoblauch, Zwiebeln in eingelegten Weinblättern – mit Zahnstochern fixiert brauchen sie etwa 45 Minuten zum Garen. Ein rein vegetarisches Grillfest ist übrigens auch eine überraschende Abwechslung und ein gutes Beispiel für die leichte Küche, die man ja nicht unbedingt mit Grillen in einem Atemzug nennen kann.
Läuft einem hier nicht das Wasser im Munde zusammen – egal, ob mit oder ohne Fleisch? Aber aufgepasst! Beim Grillen kann man auch viel falsch machen – und nichts verdirbt die Party so sehr wie zu warme Getränke oder eben Briketts frisch vom Rost. Grillen ist zwar keine Hexerei, aber einige Regeln sollte man schon beachten, damit aus dem Tanz ums Feuer auch ein kulinarisches Highlight werden kann.
Am besten ist es, sich in Ruhe die nötigen Utensilien bereitzulegen: Alufolie zum Auslegen des Grills oder Einwickeln von Kartoffeln und Gemüse, einen Pinsel (am besten aus Sili-kon) zum Bestreichen des Grillguts mit Marinade, natürlich ein funktionierendes Grillbesteck aus Gabel, Zange und Wendeschaufel, gegebenenfalls ein Tranchierbrett sowie passendes Besteck, Handschuhe oder Topflappen und eine Schürze gegen die beim Grillen unvermeidlichen Fettspritzer.
Erfolg beim Grillen stellt sich aber nur ein, wenn die Temperatur hoch genug ist: Wer mit Holzkohle grillt, sollte abwarten, bis die Kohlestückchen mit einer weißen Ascheschicht überzogen sind; wem dies zu lange dauert, kann aus genügend Abstand mit einem Blasebalg oder alten Fön nachhelfen. Und wer keine Alufolie benutzen möchte, sollte den Grillrost vor dem Belegen mit Öl einpinseln, damit nichts kleben bleibt (was natürlich auch für die Alufolie gilt).
Die Garzeiten auf dem Grill variieren beträchtlich. Eine einfache Bratwurst braucht 5–10, ein Schweinesteak 8–10 und Spieße mit Schweinefleisch 10–15 Minuten. Im Vergleich zu einem Rumpsteak vom Rind (8–12 Minuten) braucht Geflügel etwas länger: Ein ganzes Hähnchen am Spieß sollte eine bis anderthalb Stunden garen, eine Keule rund 45 Minuten; schneller geht es hier direkt auf dem Rost mit dem Brustfilet (8–10 Minuten). Lamm gleicht bei der Garzeit in etwa dem Rindfleisch. Ebenfalls schneller kommt Fisch auf den Tisch: Filet benötigt 5–10 und ein ganzer Fisch 10–15 nach einer Anbratzeit von 2–4 Minuten.
Außerdem gilt es auch noch ein paar Sicherheitshinweise zu beachten: Das Grillgerät muss stabil sein und einen sicheren Stand haben. Es darf wortwörtlich keine Schraube locker sein und auch der Grillrost muss gut in der Halterung liegen. Zum Anzünden sollte man nicht nur des Geschmacks wegen Alkohol, Spiritus, Öl oder Benzin aus dem Grillbereich verbannen: Diese flüssigen Brennstoffe verdunsten und bilden ein explosives Gas-Luft-Gemisch, das beim Anzünden schlagartig mit einem Feuerball verpuffen kann. Also nur richtige Grillanzünder verwenden – ob in fester oder flüssiger Form (eine Hilfe kann hier das DIN-CERTCO-Zeichen sein). Ein Eimer Wasser neben dem Grill mag vielleicht übertrieben erscheinen, kann aber im Ernstfall gute Dienste leisten. Aber Vorsicht: Im Falle eine Fettbrandes ist Wasser pures Gift! Hier darf nur mit einer Decke gelöscht werden.
Nun kam vor ein paar Jahren der Verdacht auf, dass Garen über offenem Feuer gesund-heitsschädlich sei. Tatsächlich bilden sich in der Holzglut Kohlenwasserstoffe, die zum Teil ins Grillgut übergehen (man kennt das von der Zigarette: Da werden diese Stoffe als Kondensat bzw. Teer zusammengefasst). Diese Substanzen gelten als Erreger von Krebs. Der Grillfreund sitzt also in der Zwickmühle: Will man auf die Aromen des verbrannten Holzes nicht verzichten, droht eine latente Gesundheitsgefahr. Allerdings sagt man typischen Grillgewürzen wie Senf, Thymian, Oregano, Rosmarin oder Salbei und auch Bier nach, die Aufnahme dieser Kohlenwasserstoffe weitgehend zu verhindern.
Unbedenklicher ist der Grillspaß auf jeden Fall, wenn man Aluschalen verwendet oder den Rost vorher mit der entsprechenden Folie einschlägt (was auch das Reinigen nachher vereinfacht). Noch ein kleiner Tipp: Wer sich für die Alufolie entscheidet, sollte Fleisch, Fisch oder Gemüse immer auf die glänzende Seite legen oder darin einwickeln, da diese die Hitze besser reflektiert; die matte Seite speichert hingegen die Wärme besser.
Stand da zu Beginn nicht auch etwas über Grillen und Deutschland? Was wäre unser Va-terland ohne seine Jurisprudenz, denn auch die hat sich schon Gedanken ums Schwenksteak gemacht: Grillen im Garten oder auf dem Balkon ist häufig Grund für nachbarliche Streitereien, die nicht selten vor Gericht enden – auch wenn ein gemeinsames Sommerfest oft sicherlich sinnvoller wäre.
Eine klare gesetzliche Regelung existiert nicht – leider oder zum Glück. Aber es gibt bereits ein paar einschlägige Urteile: Das Landgericht Essen hat entschieden, dass das Grillen auf dem Balkon eines Mehrfamilienhauses per Hausordnung verboten werden kann; das Amtsgericht Bonn meint, dass Mieter in einem Mehrfamilienhaus in der warmen Jahreszeit einmal im Monat auf dem Balkon grillen dürfen, wenn sie ihre Nachbarn 48 Sunden vorher darüber informiert haben; und laut Landgericht Stuttgart darf dreimal im Jahr jeweils zwei Stunden gegrillt werden. Es gibt noch einige dieser weisen Richtersprüche – am besten ist es jedoch, wenn man sich in Ruhe mit den Nachbarn zusammensetzt und das Problem beseitigt, bevor es entsteht. Manchmal kann man ja auch den gesunden Menschenverstand einschalten.
Tatsächlich treibt der Hang zum Brutzeln und Braten zuweilen auch sonderbare Blüten: Es heißt ja immer, dass drei Deutsche sofort einen Verein gründen. Und das gilt natürlich auch für das Grillen: Im Internet stößt man tatsächlich auf verschiedene Clubs und Grüppchen, über denen geradezu staatstragend der Deutsche Grill-Verein (eingetragen beim Amtsgericht in Bonn) thront. Dort gibt es auch mannigfaltige Links zu anderen „heißen Seiten“ rund ums Grillgut – egal, ob man sich in einer niedersächsischen Justizvollzugsanstalt einen dort zusammengebauten Grill kaufen oder Kontakte zu anderen Grillclubs aufnehmen möchte. Sachen gibt’s!
Gleichviel: Den Vorzug vor der virtuellen Welt des Grillens genießen denn doch das reelle Steak oder seine vegetarischen Rostnachbarn. Und so bleibt einem, hoffentlich gut informiert und heißhungrig auf den sommerlichen Outdoor-Genuss, nur mehr der Gruß, den der Deutsche Grill-Verein e.V. auf seiner Homepage wärmstens entbietet: Guten Appetit und „immer eine Handvoll Kohle zur Hand“…