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„Besser wird´s nicht!“

KÖLN (9. Dezember 2020). Mit der Nachricht, dass sich der Kabarettist Jürgen Becker zum Jahresende aus den „Mitternachtsspitzen“ verabschiedet, wurde auch gleich sein Nachfolger benannt, der künftig durch die Traditionssendung des WDR führt: Christoph Sieber, dessen ZDF-Satire-Format „Mann Sieber“ mit Tobias Mann zum Jahresende eingestellt wird. Die offizielle Stabübergabe ist am 17. Dezember. Im Interview erzählt Sieber über seine Zukunftspläne:

Mit der Moderation der Mitternachtsspitzen wechseln Sie vom ZDF zum WDR, wo Kabarett und Kleinkunst einen besonders hohen Stellenwert haben. Wieso ist es wichtig, dieses Genre auch im Fernsehen zu präsentieren?

Christoph Sieber: Weil ich das Fernsehprogramm nicht den Silbereisens, Maischbergers und Pilchers überlassen will. Und weil ich dort ein Publikum erreiche, das vielleicht niemals ins Kabarett gehen würde. Die finden halt den Umschaltknopf nicht und schauen sich dann notgedrungen die „Mitternachtsspitzen“ an. Und wenn die dann sagen: So habe ich ein Thema ja noch nicht gesehen, dann habe ich mehr erreicht als in hundert Kabarettvorstellungen, wo oft nur die sitzen, die ohnehin ähnlicher Meinung sind.

Sie waren ja schon oft bei den „Mitternachtsspitzen“ zu Gast. Wie haben Sie diese Sendung damals erlebt?

Christoph Sieber: Gast bei den „Mitternachtsspitzen“ sein zu dürfen ist ja erst mal eine gewisse Adelung. Die laden auch nicht jeden ein. „Mitternachtsspitzen“, das ist Samstag-Abend-Unterhaltung zur besten Sendezeit. Das ist das „Wetten dass“ unter den Kabarettsendungen. Und die haben dort im „Alten Wartesaal“ ein fantastisches bis beinahe fanatisches Publikum. Hier aufzutreten war und ist immer eine Freude. Und dass ich das Ganze mal moderiere, hätte ich mir wirklich weder in meinen Träumen noch in meinen Albträumen vorstellen können.

Mit Becker verlassen auch Uwe Lyko alias Herbert Knebel und die „Revolverschnauze“ Wilfried Schmicker die Sendung. Haben Sie bereits ein neues Team im Auge?

Christoph Sieber: Ich bin froh, dass Philip Simon und Susanne Pätzold vom alten Team weitermachen. Auch Michael Hatzius, die Echse, wird ständiger Gast sein. Wir werden zu Beginn vieles ausprobieren und schauen, ob es den Nerv des Publikums trifft. Und wenn nicht, dann machen wir es trotzdem. Mainstream sollen andere machen.

Jürgen Becker zu beerben ist sicherlich eine große Ehre. Was für Ideen haben Sie, um diese Traditionssendung in die Zukunft zu führen?

Christoph Sieber: Viele Dinge sind ja mit Becker, Schmickler und Lyko verbunden. Ulrich aus Deppendorf, Paare der Weltgeschichte, der Heimathirsch. Das wird es so nicht mehr geben. Ich werde mit meinem Team neue Dinge entwickeln, die hoffentlich auch Eingang in die Annalen der Kabarettgeschichte finden werden. Kabarett lebt ja zum Glück hauptsächlich von den Inhalten und nicht von der Verpackung.

In Mainz sollten Sie im Dezember eigentlich Ihr Programm „Mensch bleiben“ im Unterhaus spielen, woraus durch Veranstaltungsverbote nun leider nichts wird. Wie gelingt es uns denn Mensch zu bleiben – vor allem in Zeiten von Corona?

Christoph Sieber: Wir erleben eine Zeit, in der viele Gewissheiten zerbrechen. Gegenwart und Zukunft waren kaum unterscheidbar, weil alles immer so weiterging wie es schon immer war. Die größten Veränderungen waren ja tatsächlich die Jahreszeiten. Jetzt stehen wir als Menschheit neben Corona noch vor einer zweiten riesigen Herausforderung: der Klimaerwärmung. Das verunsichert viele. Mich auch. Aber wir dürfen eines bei allem nicht vergessen: Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist ein Wert, für den es sich zu kämpfen lohnt. Ein Blick in die USA zeigt, wohin eine Gesellschaft driftet, die jeglichen Zusammenhalt verloren hat. „Mensch bleiben“ ist also Anspruch und Aufforderung zugleich. Und gerade in schweren Zeiten braucht es doch Kabarett. Da ist es doch schön zu sehen, dass da einer auf der Bühne steht und einfach mal sagt: Besser wird´s nicht!

Mitternachtsspitzen
Der WDR produziert mit diesem Format die am längsten ausgestrahlte Kabarettsendung im deutschen Fernsehen. Seit ihrem Start 1988 waren hier so gut wie alle namhaften Künstlerinnen und Künstler der deutschsprachigen Kleinkunstszene zu Gast, darunter Dieter Hildebrandt, Hanns Dieter Hüsch, Mathias Richling, Volker Pispers, Dieter Nuhr Lisa Eckhart, Urban Priol und Tobias Mann. 1992 übernahm Jürgen Becker die Moderation. Die 60-minütigen „Mitternachtsspitzen“ werden jeden Samstag um 21.45 Uhr ausgestrahlt, die Titelmusik ist der „Soul Bossa Nova“ von Quincy Jones.

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