» Kleinkunst

Wenn Brüder eines „Geistes“ sind

MAINZ (7. November 2019). Nimmt die Krisenstimmung zu, möchte man durchaus mal den Kopf in den Sand stecken: Augen und Ohren zu, Hirn auf Standby. Doch das wäre auf Dauer ja auch irgendwie langweilig. Also besorgt man sich lieber Karten für das neue Programm des Chaostheaters Oropax. Augen auf? Auf jeden Fall! Und die Ohren erst! Was man an einem solchen Abend mit dem eigenen Hirn macht, sollte allerdings jeder für sich entscheiden …

Die Show beginnt tatsächlich mit: Cembalomusik! Und schon betritt so etwas wie ein barocker Sprecher mit wallender Perückenmähne und Gehrock die Bühne im Frankfurter Hof und verkündigt mit bemerkenswerter Lokalkenntnis, wo heute gespielt wird. Hier nur so viel: in einer Stadt, deren Bewohner bekannt seien für ihre Fint(h)en. Volker Martins deklamiert, doch wo ist sein Bruder Thomas? Bald schon taucht der große Schlacks auf: in einem wallenden, grünen Kleid und Rokoko-Perücke – das passiert eben, wenn Barock auf Go-go trifft. Was man beim Cembalo anfangs befürchtete, passiert nun der Geige: Sie wird in Frischkäse getunkt – schließlich ist es ja ein Streichinstrument.

Wer bis hierhin noch nicht aufgehört hat zu lesen und zuvor von den Oropax-Brüdern Martins noch nie etwas gehört hat, dürfte sich fragen, wo er hier gelandet ist: Genau dort, wo es auf diese Frage keine Antwort gibt. Das Treiben der beiden ist bekennend sinnfrei: ein bunter Abend mit zwei nicht mehr ganz jungen Herren (beide sind über 50), die in sich jedoch jeder einen Peter Pan haben, der einfach nicht älter wird und eine unglaubliche Freude am Schabernack hat. 1992 begannen die Brüder, dies professionell auf der Bühne zu machen. Fast 20 Programme sind seither entstanden – das neuste heißt „Testsieger am Scheitel“.

Es wird gefrühstückt, bei Missgeschicken kommt der Pannenhelfer Herr Malheur, der als Maler seine Rolle perfekt ausfüllt. Hoppla, jetzt hat man ja selbst ein Wortspiel ersonnen, schließlich ist ein Abend mit Oropax eine wunderbare Inspiration: Gefühlt jedes zweite Wort wird herrlich verdreht – und das durchaus anspruchsvoll und zuweilen um mehrere Ecken. So nennt der Pinselschwinger mit Lackdose-Intoleranz seinen Vornamen im Präteritum: Malte. Er wirft Steine gegen eine Tür und schafft Türkis, er fährt mit der Zunge am Türrahmen entlang: Es entsteht Lektüre.

„Oropax“ katapultiert seine Zuschauer in ein Universum des Nonsens‘, wobei die unbestrittene Qualität der sprachlichen Gestaltung und die Gagdichte durchaus darauf verweisen, dass der zweite Wortteil in Unsinn weitaus mehr Buchstaben und damit das Übergewicht hat. Der Spaß, den die Brüder da auf der Bühne beim Spaßmachen haben, potenziert das, was beim Publikum ankommt, mühelos. Jede Nummer ist mit großer Liebe zum Detail geplant und der Fundus, den die beiden für ihre Sketche gebrauchen, ist beachtlich.

Im Vergleich zu vorangegangenen Programmen scheinen weniger Lebensmittel verwurstet zu werden: Diesmal gehen nur ein Glas Marmelade, ein Croissant, ein paar Rollmöpse, eine Flasche Bier und der obligatorische Leberkäs‘ („Riecht gefurzt besser als im Original!“) drauf – vielleicht hat die Diskussion um die Verschwendung von Nahrungsmittel die Künstler hier ja ein wenig sensibilisiert? Anderes bleibt zum Glück: der immer wiederkehrende Mönch, Herr Pinski, die Witze um Volkers Glatze, der wiederum Thomas immer als dumm verkauft.

Unterm Strich haben die beiden das Zeug, einen ganzen Zirkus arbeitslos zu machen, denn der Feuerschlucker kann einpacken, jegliches Getier freigelassen und das Trapez abgebaut werden: Thomas und Volker Martins sind zwei herrliche Clowns, die das Kind in sich auf eine Rampensau setzen und gemeinsam eine Attacke nach der anderen auf die Lachmuskeln ihres Publikums reiten. Am schönsten, weil tatsächlich intimsten, sind Texthänger oder vergeigte Pointen: Dann nämlich löst sich für einen Moment die Distanz zwischen Künstler und Publikum auf und man amüsiert sich gemeinsam.

Was bleibt, ist so manche Erkenntnis: Man sollte das Leben durch die Klobrille betrachten, als Eintagsfliege die Happy Hour genießen und die Feste feiern wie sie fallen. So lässt Oropax um punkt 20.19 Uhr im Konfettiregen die Korken knallen, denn die Echtzeit deckt sich für eine Minute mit der Jahreszahl. Auf die Idee kamen sie schon 1989 – manches braucht eben Zeit.

zurück