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Deutscher Kleinkunstpreis 2023 verliehen

MAINZ (26. Februar 2023). Als Urban Priol 2004 bei 3sat erstmals in seiner eigenen Fernsehsendung „Alles muss raus“ zu sehen war, ahnte wohl keiner, dass der Sender dies 20 Jahre später wörtlich nehmen würde: Zum letzten Mal führte Priol durch die Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises, diesmal zusammen mit Tobias Mann, der ihn 2022 wegen einer Coronainfektion am Tag der Aufzeichnung spontan vertreten hatte. Der Mainzer wird die Veranstaltung ab 2024 moderieren, was gemessen an Priols letztem Auftritt sicherlich eine gute Entscheidung ist: Eher lustlos las dieser seine Pointen bis zum Schluss von der Kladde ab und lieferte ansonsten auch nur oberflächliches Politiker-Bashing ohne jede Substanz. Man könnte das besser machen und Mann kann das auf jeden Fall.

Aber es ging an diesem Abend ja gar nicht um die früheren Preisträger, sondern um die, denen die Jury für das laufende Jahr die wichtigste Auszeichnung der Szene zugedacht hat. Als Eisbrecher betrat Anny Hartmann die wieder (nicht selten zu) blendend gestaltete Bühne im Frankfurter Hof. Sie will die Leute eher zum Nachdenken als zum Lachen animieren, was ihr zumindest in der Generalprobe vor der eigentlichen Aufzeichnung auch gut gelang. Laut Jury ist das, was die studierte Volkswirtin auf der Bühne macht, „politische Satire in Reinkultur“. Hartman erhielt den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett.

Weiter ging es mit der Kleinkunst, wo der Geschichtenerzähler Nikita Miller davon berichtete, welche Probleme es mit sich bringen kann, wenn man als Sparmaßnahme einen älteren Freund bei sich wohnen lässt und diesen wegen möglichen Geredes unter den Nachbarn als seinen Sohn ausgibt. Millers Tonfall erinnert ein wenig an die Synchronstimme von Marlon Brandos grandiosem Don Vito Corleone in „Der Pate“. Und so lobte die Jury: „Bei ihm steht die Story selbst im Fokus, die mit fast filmreifer Dramaturgie Alltags-Situationen, Erlebnisse aus eigner Jugend und ironisch gebrochenen Klischees seiner kasachisch-russischen Herkunft immer mehr eskalieren lässt.“

Für die Sparte Musik wurde Danger Dan ausgezeichnet. Der Sänger wagt in seinem Album „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ den Sprung vom Rap zum Chanson, wobei er das eine erreicht ohne das andere zu verlassen. Neben „Lauf davon“, einer Ode ans Ausbrechen aus gewohnten Bahnen, sang der Künstler auch seine Auseinandersetzung mit der Kunstfreiheit, womit er Anfeindungen rechter Populisten gegen ihn verarbeitete. Laut Jury hat er sich nicht nur damit „in die Spitzengruppe der Songpoeten deutscher Sprache geschrieben“.

Nach der Pause ging es dann in die Vollen, denn den Preis in der Sparte Stand-up erhielt Carolin Kebekus. Ihr Mut, mit dem sie auch pikante Themen angeht, ist bewundernswert. So beharkte sie mit traumwandlerischer Chuzpe das Thema Menstruation, wobei man zeitweise nicht wusste, ob man sich vor Lachen oder Fremdscham krümmte. Im Subtext ging es jedoch um Emanzipation – ein fein gedachtes Scharmützel. „Ihre Texte sind absolut auf der Höhe der Zeit und schlagen immer eine Brücke von ihren eigenen Erlebnissen und Ängsten hin zu den großen Themen der Welt“, bewunderte auch die Jury vollkommen zu Recht. Außerdem gelingt es Kebekus mit einem Fingerschnicken, die zuweilen hoch gezogenen und noch immer grimmig verteidigten Grenzen zwischen Comedy und Kabarett einzureißen. Mit dieser Auszeichnung bewies der Deutsche Kleinkunstpreis, dass er auf der Höhe der Zeit ist.

Gleiches gilt für die Kür von „Luksan Wunder“ mit dem Förderpreis der Stadt Mainz. Ob „Literal Videos“, in denen bekannte Hits mit neuen und originellen Texten versehen werden, Weltliteratur in leichter Sprache oder anderer viralen Schabernack: Die „Wundertütenfabrik“ des mehrköpfigen Ensembles gibt der Bühne auf jeden Fall neue Impulse und sorgte auch am Abend der Aufzeichnung mit ihren auf großer Leinwand eingespielten Clips für frischen Wind.

Den Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz bekamen Frank Goosen und Jochen Malmsheimer für ihr „Tresenlesen“. Das Duo trat zwischen 1992 und 2000 gemeinsam auf und startete 2020 während der Pandemie wieder durch. Mit einer kurzen Nummer über das Bahn-Portfolio zeigten sie nicht nur laut Jury, dass ihre eigene literarische Hochkomik-Produktion, das Hand in Hand ihrer Improvisationspointen und ihre sich in vulkanartig ausbrechende Raserei steigernde Vortragskunst nichts an Frische, Zeitgeist und Originalität verloren haben.

Die Aufzeichnung der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises 2023 ist am 5. März um 20.15 Uhr auf 3sat zu sehen und wird am 11. März ab 1.40 Uhr in der ARD wiederholt.

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