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Die Realität ist farbig

MAINZ (10. September 2017). „Keine weiteren Fragen“ heißt das aktuelle Programm von Christian Ehring: Mit diesem Satz beendet ein Anwalt normalerweise eine Vernehmung, nachdem er einen Zeugen gekonnt in die Enge getrieben hat.

Auch das Publikum kennt am Ende der Vorstellung die Wahrheit, muss sie sich jedoch selbst eingestehen. Nachdem Ehring im ersten Teil mit einer perfekten Performance und gut konstruierter Pointen-Choreografie die Aufmerksamkeit der Zuschauer gewonnen hat, spannt er im zweiten eine straffe Leinwand, auf die er seine Botschaft gut lesbar pinselt.

Da ist dieses eine Lied, das zur Resignation aufruft. Und am Ende des Abends singt der Vater zweier Töchter für seinen imaginären 18-jährigen Sohn von der bitteren und unausweichlichen Realität. Doch wer Ehring (nicht zuletzt dank seiner scharfzüngigen Moderationen der Satiresendung „extra3“ und Kommentare in der „heute-show“) kennt, weiß, dass Fatalismus nicht seine Sache ist. Mit Verve zeigt er die Schwachstellen unserer Gesellschaft auf und entlarvt so manche Lebenslüge.

Der Sohnemann reist demnächst also zu einem erzwungenen „Freiwilligen sozialen Jahr“ im südamerikanischen Slum; die Eltern verbleiben in der edlen Siedlung im „Cappuccino-Belt“ einer Großstadt – mit der nun freien Einliegerwohnung. Empathisch will die Mutter einen Flüchtling einquartieren und auch dem Vater gefällt die Idee: „Aber eben als Idee! Manches verliert ja, wenn man es in die Tat umsetzt.“ Er selbst würde lieber sein zweites Standbein ausbauen und im eigenen Tonstudio vegane Kinderlieder produzieren: „Eine riesige Marktlücke.“

Ehring, brillanter Darsteller mit edler Diktion und mimischem Talent, erzählt seine Geschichte dramaturgisch geschickt, denn das traute Glück im Eigenheim wird vom Elend der Welt kaum tangiert, solange es im fernen Afrika geschieht: Für das gute Gewissen kann man ja gefahrlos Grün wählen. Und wenn dann doch der Vertriebene vor der Tür steht, bringt man ihn mit Erwartungen und Anforderungen in eine Bedrängnis, vor der er vielleicht einst geflohen ist. Die Realität ist eben nicht schwarz-weiß, sondern farbig.

Der Abend ist eine klar positionierte und kurzweilige Mischung aus bissigem Kabarett sowie klugem Infotainment. Und nicht nur Ehrings Streitgespräch mit seiner Frau, in dem er kaum zu Wort kommt, ist einen Szenenapplaus wert. Aktuelle Themen werden gekonnt angesprochen, ohne sich dabei mit mahnendem Zeigefinger aufzudrängen: „Keine weiteren Fragen“ verzichtet bewusst auf Antworten, gibt aber genug Denkanstöße, um sich mit Verantwortung, Ursache und Wirkung auseinanderzusetzen.

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