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Das Schweigen des Lammert

MAINZ (15. November 2011). Das Berliner Ensemble „Distel“ ist bekannt für allerfeinstes Ensemble-Kabarett: „Jenseits von Angela“ oder „Staatsratsvorsitzende küsst man nicht“ lauten die Titel aktueller Programme. „Berlin 21 – Das Schweigen des Lammert“ spielten die Hauptstädter jetzt vor vollem Unterhaus und zeigten damit einmal mehr bereits im Titel Geist und Wortwitz. Denn nicht nur der Bundestagspräsident ist verstummt: Die Politik hortet lieber das schweigende Gold, als mit silbrigen Äußerungen zu glänzen.

Das gefällt dem Bürger nicht – vor allem, wenn er aus Ehmte/Bahnhof kommt, einem imaginären Nest im Norden Schleswig-Holsteins, das im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ nur knapp gegen das bayerische Oberspüttelshofen unterlag. Als Abordnung des Zweitplatzierten machen sich ein Güllepumpen-Produzent, ein Oberstudienrat und ein Kneipier auf den Weg nach Berlin, um die Kanzlerin zur Rede zu stellen. Doch sie verweigert die Aussage. Und auch das Schweigen des Lammert lastet schwer auf den Regierten.

So weit die Rahmenhandlung des Bühnentreibens, das Michael Nitzel, Martin Maier-Bode und Matthias Lauschus über zwei Stunden lang ausbreiten. Während die Drogenszene in Ehmte/Bahnhof aus einem Zigarettenautomat und einem Altglascontainer besteht, erlebt das protestierende Trio an der Spree natürlich weitaus rasantere Zeiten, was in vitalen Momentaufnahmen äußerst brillant und unterhaltsam in Szene gesetzt wird.

Tiefgang und Klamauk halten sich hierbei elegant die Waage, wobei die Satire mit scharfem Biss daher kommt. Der Bürger, der dem Staat nur noch bei der Steuererklärung und in Form des Lehrers begegnen kann, muss sich mit Politikern wie Dirk Niebel und Ronald Pofalla herumschlagen, während alle anderen zurücktreten: „Wer noch was auf sich hält, geht baden oder nimmt den Fallschirm.“ Statt ins marode Schienennetz zu investieren, baue man in Stuttgart einen Bahnhof, dass dem Bürger die Augen aus dem Kopf fielen: „Und wenn nicht, hilft die Polizei vor Ort nach…“

Die Parteien ernten Spott und Häme, wenn ein FDP-Mitglied den Psychiater aufsucht, weil es befürchtet, sozial-liberal geworden zu sein und in allen Ressorts orten die Kabarettisten Kompetenzüberschreitungen. Doch ein Abgesang, den vor allem Matthias Lauschus wohlig stimmgewaltig intoniert, ist es nicht, denn die Vorzüge des parlamentarischen Systems offenbart die „Distel“ mit Martin Maier-Bodes grandioser Hitler-Parodie: Der „Führer“ würde heute schon am Bundesrat scheitern, müsste seine gigantomanischen Pläne für Berlin dem Länderfinanzausgleich opfern und könnte mit der Weltherrschaft dank des Föderalismus‘ doch nur neue Bundesländer schaffen.

Wenn die eigene Stimmabgabe bei der Wahl einem also die Sprache verschlägt, dann tut es gut, derart spitze „Disteln“ zu haben. Ihr satirisches Pieken erlöst einen aus der politikverdrossenen Schockstarre und lässt einen zumindest mal herzlich über alles lachen. Außerdem ist ein Besuch im Kabarett für den Wutbürger sicherlich entspannender als das Messen mit einem Stuttgarter Wasserwerfer…

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