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Hits mit unbegrenzter Haltbarkeit

NIEDERNHAUSEN (10. Februar 2012). Mit stampfenden Rhythmen begrüßt die „Erste Allgemeine Verunsicherung“, kurz EAV, ihre Gäste im Rhein-Main-Theater Niedernhausen: „Willkommen im Neandertal“ heißt das erste Stück des Abends. Es ist aus dem Jahr 1991. Und wenig schmeichelhaft, weil noch immer aktuell: „Seit Menschengedenken wird aufgebaut, damit man nachher wieder niederhaut.“

So unterhaltsam die Lieder auch sein mögen, sie enthalten stets das Körnlein Wahrheit, das kreischend ins Getriebe fällt – an diesem Abend wird das akustisch durch genussvolle Gitarrensoli von Kurt Keinrath illustriert.

Natürlich gibt es viel zu lachen, denn durch stets angepasste Aktualität haben die Hits der EAV eine unbegrenzte Haltbarkeit, was auch auf ihren Unterhaltungswert zutrifft. Eine kurze Umfrage von Frontmann Klaus Eberhartinger zeigt, dass wenige Zuhörer unter 20 und 30 sind, aber viele um die 40 und darüber: „Schlaft Ihr also schon mit der Hand im Blumentopf, um Euch schon mal an die Erde zu gewöhnen?“

Der Sänger selbst zählt auch schon seine 61 Lenze, die man ihm keine Sekunde lang anmerkt. Er ist noch immer der Zappelphilipp mit den elastischen Beinen und offensichtlich so jung geblieben wie die großen Hits der EAV: „Banküberfall“, die Moritat vom „Sandlerkönig Eberhard“, „Samurai“ oder „Fata Morgana“ kann hier noch jeder mitsingen. Und tut es aus voller Kehle. Die gut aufgelegte Rock-Comic-Band, das begeisterte Publikum, die erinnerungsträchtigen Songs – all das bildet eine prickelnde Einheit mit manch ohrenfälligem Déja-vu.

Ein Konzert der EAV ist aber immer mehr als Musik: Eberhartinger gibt den gewohnt eleganten Conférencier, der mit alpenländischem Zungenschlag seine sarkastischen Randbemerkungen anbringt. Das Programm folgt dabei einer lockeren Stringenz, die einen aus dem Neandertal einmal um den Erdball zurück ins Jammertal führt. Los geht es mit „Banküberfall“ und dem „Märchenprinz“, der nurmehr mit Potenzmittel und Stützkorsett auftrumpfen kann. Amüsant hat die EAV ihren Schwerenöter altern lassen und „beim nächsten Vogeltanz holt ihn die Ambulanz“.

Im näheren Umfeld der gesunkenen „Costa Concordia“ wähnt Eberhartinger betonbeschuhte Mafiosi – und schon genießt man „Heiße Nächte in Palermo“, samt vielstimmigem Mandolinenchor aus dem Auditorium. Von der Fähre mit Schlagseite kommt Eberhartinger aufs gleich gelagerte katholische Kirchenschiff: „Hier denke ich nicht mehr an was Spirituelles, sondern will nur noch Spirituosen“, sagt er und intoniert „‘S Muaterl“: „Es ist ein Skandal – unser’m Herrgott sein Bodenpersonal!“ Und nach einem Song über die ölige Russenmafia ist es nicht weit nach Tschernobyl und Fukushima: „Burli“. Auch ein paar jüngere Songs sind zu hören, doch das Publikum liebt die alten hörbar mehr.

Leider sind manche Lieder des Abends stark verkürzt, dafür haben die Moderationen Kabarett-Qualität: „Es war der Stein von Griechenland, den sich Europa um die Gurgel band“, kommentiert Eberhartinger in einer zeitgemäßen Version von „Der Wein von Mykonos“ und in „Ding Dong“ bittet in einem eingefügten Liedzitat der Tod statt um Jagertee nur noch um „ein Stückerl Brot“. Pikant wird die Frage in den Raum gestellt, ob keiner die Krise vorausgeahnt hätte. Die Antwort kommt sofort mit „Geld oder Leben“, in dem die EAV bereits 1986 die Gier nach mehr thematisierte: „Es beherrscht der Obolus schon lange unsren Globulus.“

Sind sie also seit jeher Visionäre? Als Prediger haben sie an diesem Abend guten Zulauf und die Gemeinde in Niedernhausen hängt an Eberhartingers Lippen, der irgendwann zum Zirkelschluss kommt: „Willkommen im Neandertal! Die Show ist aus, das ist fatal!“ Stimmt.

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