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Ein Imperativ, der zum Versprechen wird

MAINZ (10. Oktober 2024). „Weitermachen!“, heißt das neue Soloprogramm von Christoph Sieber. Doch erst in der Zugabe nimmt er Bezug darauf. Offensichtlich ist der Weg das Ziel und es lohnt sich, diesen nachdenklichen wie scharfsinnigen Denker darauf zu begleiten.

Der Abend beginnt bewusst flach, sogar mit einem derb-anzüglichen Scherz, denn Sieber fühlt sich angesichts der Weltlage schlicht überfordert, Kabarett zu machen. Die Stimmung in Mainz ist ihm daher auch eigentlich viel zu gut. Er verspricht für den Abend so manchen Dämpfer und wer ihn kennt, freut sich schon auf die geistige Achterbahnfahrt, mit der er sein Publikum hart in die Kurven drücken wird.

Siebers Programm hat einen roten Faden, der jedoch erst in der Retrospektive aufleuchtet. Der Abend selbst ist gekonntes Nummernkabarett, in dem politisch und gesellschaftlich in alle Richtungen ausgeteilt wird. Sieber verspricht, aufs Gendern verzichten zu wollen, wenn Frauen endlich überall gleiche Rechte, Löhne und Anerkennung fänden: „Ich würd’s machen!“ Das Wirken der Ampel quittiert er frustriert: „Der Wille war da, aber das Können hat nicht gewollt.“

Digitalisierung, Gefahren künstlicher und Sehnsucht nach praktischer Intelligenz, Handwerkernotstand und die Zukunft der Arbeit (gekonnt anknüpfend an die wunderbare Betriebsfestrede von Bäcker Häberle: „Der Weck ist das Ziel.“) – Sieber kommentiert und jongliert wie immer geschickt mit der Stimmung: Wo eben noch schenkelklopfend gelacht und applaudiert wurde, kann man im nächsten Moment fast die buchstäbliche Stecknadel fallen hören. Hier jagen sich Witz und Einsicht in beeindruckender Eleganz.

Wird er nach der Pause endlich auf den Punkt kommen? Das Thema lautet doch „Weitermachen!“? Sieber eröffnet den zweiten Teil als sein Bruder, der den Künstler entlarvt: Dieter Nuhr (Erzeugnis eines mütterlichen Seitensprungs mit einem FDP-Politiker) grummele immer so, weil er die Hälfte der Tantiemen an Christoph abdrücken müsse, Volker Pispers schreibe ihm die Texte, Habecks Heizungsgesetz stammt von Sieber selbst; er war es, der Aiwanger das Flugblatt in den Ranzen steckte. Wer Barschel das Badewasser einließ, ist jetzt auch bekannt. „Und glauben Sie, Dobrindt und Scheuer wären mit natürlicher Dummheit geschlagen?“ Der Sieber war’s – eine kabarettistische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme! So gesehen macht plötzlich alles Sinn.

Bald wird der Kabarettist ernst und thematisiert die ihn beunruhigende Ratlosigkeit, die sich in der oft fehlenden Orientierung der Bevölkerung spiegelt: „Wir haben uns geschworen ‚Nie wieder Faschismus!‘ und jetzt denken offenbar viele, man könnte es doch noch mal probieren!“ Die Nazis von heute kämen aber nicht mehr mit Springerstiefeln daher: „Ein Faschist, der demokratisch gewählt ist, wird nicht zum Demokraten.“ Seine Aufgabe als Kabarettist sei es, das System zu kritisieren, um es zu verbessern: „Aber ich will es nicht abschaffen“, hält Sieber ein blutvolles Plädoyer für die Demokratie – dankbarer Szenenapplaus.

Kluge Gedanken, die den „gesunden Menschenverstand“ anzweifeln, den Fortschrittswahn als Irrglauben überführen und sich mit Wahrheit und Dummheit auseinandersetzen: Sieber fordert, Probleme zu lösen anstatt sie nur in endlosen Diskussionen zu wälzen oder sogar zu instrumentalisieren: 30 Prozent AfD-Wähler kämen nicht von ungefähr.

Was er tun kann? Seine Waffe, erklärt der Künstler, sei der Humor: „Die Lage ist zu ernst, um sie ernst zu nehmen“, lautet sein Wahlspruch, den man am Ausgang auch als Postkarte mitnehmen kann. Kabarett sei gelebte Freiheit: „Ich darf auf der Bühne alles ungestraft sagen.“ Und auch das Publikum dürfe lachen, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Eigentlich schade, dass solche Einsichten nur vor solchen Menschen gepredigt werden, die dahingehend wohl kaum mehr aufgeklärt werden müssen …

Seit 30 Jahren steht Christoph Sieber auf der Bühne und ganz am Schluss erwähnt er endlich seinen Programmtitel. Der Imperativ wird zum Versprechen, denn auch wenn der Zeitgeist ihn mit Macht niederzuschreien versucht, will er nicht aufgeben: „Ich werde weitermachen!“. Wer ihm zugehört hat, versteht das Ausrufezeichen im Titel auch als Aufforderung ans eigene Handeln. Dafür fordert Christoph Sieber weniger Rechthaberei und missionarischen Eifer, sondern die Bereitschaft einander zuzuhören und mit Empathie zu begegnen. In diesem Sinne: Weitermachen!

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