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Eine Lanze für den Dialekt

MAINZ (20. April 2023). Warum macht sich Kai Magnus Sting eigentlich noch die Mühe, Programme zu schreiben? Bevor er mit seinem aktuellen – „Hömma, so isset!“ – beginnt, macht er sich mit dem Publikum bekannt: „Ist jemand aus dem Ruhrgebiet da?“ Das klappt immer und natürlich melden sich auch im Unterhaus ein paar Landsleute aus Dorsten, Recklinghausen oder Herne. Sogar aus Hamborn ist einer da: „Können Sie mich nachher mitnehmen?“ Schon allein diese persönliche Plauderei ist herrlich amüsant und könnte eigentlich den ganzen Abend gehen. Der Schlusspunkt kommt wie eine Fanfare: „Das war gestern anders, das ist morgen anders, das bietet ihnen kein Netflix und Amazon prime – das ist live!“

In der Tat kann man Sting auch im Netz sehen. Doch diesen Künstler auf der Bühne zu erleben, hat fast schon etwas Intimes. Er nimmt einen mit in seinen persönlichen Alltag und dessen Beobachtungen, als wäre man dabei gewesen. Die basieren bei ihm vor allem auf dem Dialekt des Ruhrdeutschen. Und der hat eben etwas Grundsympathisches – genau wie Sting, der trotz der visuellen Distanz – der 45-Jähige trägt seit jeher einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte – äußerst liebenswert auftritt. In seiner Erregung kann man sich spiegeln und wenn er die Wirkung einer Pointe mit einem strahlenden Lächeln quittiert, fühlt man sich fast umarmt. Anzug und Hornbrille: Die Nähe zum großen Heinz Erhardt ist nicht nur augenfällig.

Dialekte sind ja so eine Sache. Aber Duisburg, Oberhausen und Bottrop liegen eben viel näher an Hannover, dem Born des Hochdeutschen, als Stuttgart, Dresden oder München. Das weiche Ruhrdeutsch versteht man gleich – vor allem, wenn es einem so urkomisch nähergebracht wird wie Sting das tut. „Vom Höcksken aufs Stöcksken“ lautet eine Redensart von dort und meint sich vom eigentlichen Thema entfernen. Sting scheint sie sich als heimliches Motto auf die Fahnen geschrieben zu haben: Gewürzt mit gekonnt gemimten Aussetzern und positioniertem Anakoluth, also Satzbruch, erzählt er munter drauf los.

Da ist das Fernsehen, das der Kabarettist, seit 28 Jahren auf der Bühne und mittlerweile an den meisten Abenden des Jahres unterwegs, während Corona entdeckt: DSDS, der Bachelor oder in der ARD das Abschiedsfest des deutschen Schlagers. Er erfährt, dass eine gewisse Micaela Schäfer mit neuen Brüsten in den Container zieht: „In Deutschland – Goethe – Schiller“, blickt Sting fassungslos ins Publikum. Dann isst er doch lieber den Rhabarberkuchen, den er eigentlich gar nicht mag, aber zu dessen Kauf er in der Bäckerei gedrängt wird. Es geht um Möhrengemüse und Erfrischungsstäbchen, laut Sting „bäh!!!“. Und ein Rezept für Nudelsalat gibt’s noch obendrein.

„Hömma, so isset“ ist eine eher lose Aneinanderreihung von Geschichten, die sich selbst die Stichwörter geben. Aber der Kalenderspruch, dass der Weg bereits das Ziel sei, wird bei Sting zum Ereignis: Die Pointen sind recht kurz, aber die Erzählung davor ist ein Feuerwerk der Emotionen und vor allem eben auch der Sprache. „Hömma“ steht natürlich für „hör mal“, genauso wie „kumma“ für „schau mal“. Sting weiß als studierter Linguist: „Das kommt von hömmare und kummare“. Und natürlich kann er das auch durchkonjugieren. Da sind die Fragewörter kannse, könnse, willse, brauchse sowie möchse und der Plural von Butterbrot lautet? Schnittkes.

Anhand berühmter „Omma-Sätze“ wird das Ganze vertieft, so dass ein Abend mit Kai Magnus Sting auch immer zur brüllend komischen Unterrichtsstunde in Ruhrdeutsch wird. Am Ende offenbart er dann aber auch ein Anliegen, das über die reine Unterhaltung hinausgeht: die Pflege des Dialekts, egal woher man kommt. Ein Heimatabend mit Anspruch eben. Und über Sätze aus der Metzgerei wie „Bringse mich mal den Gehacktem“ wird man noch lange nachdenken. Gerne auch mit Zwiebeln.

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