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Eulenspiegel als Abgeordneter

MAINZ (3. Dezember 2015). Davon träumt jeder Parlamentarier: Junge Menschen kommen in Scharen um zu hören, was er zu sagen hat – und bezahlen sogar noch Eintritt dafür. Diese Schimäre ist für einen Wirklichkeit geworden, der darüber gar nicht mal so glücklich ist: Immerhin sechs Hände gehen in die Höhe als Martin Sonneborn, seit 2014 fraktionsloser Abgeordneter in Brüssel, fragt, wer ihn denn gewählt habe: „Danke, Sie haben mir also diese Scheiße eingebrockt“, kommentiert er süffisant.

Denn eigentlich ist Sonneborn das genaue Gegenteil des Berufspolitikers: Bis 2005 war er Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“. Sein letzter Coup: die Gründung der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiativen“.

Ursprünglich als satirische Spaß-Organisation gedacht und buchstäblich aus einer Bierlaune heraus geboren, nahm die Idee bald, wenn man so will, ernsthafte Züge an. Man gewann rasch an Mitgliedern und Unterstützern, so dass „Die Partei“, wenn auch mit marginalen Erfolgen, an Landtags- und Bürgerschaftswahlen teilnahm. Bis dann 2013 „Partei“-Mitglied Bastian Langbehn in der Lübecker Bürgerschaftswahl aufgrund fehlender Prozent-Hürden tatsächlich einen Sitz bekam: Er hatte den Bürgern eine U-Bahn und die Aufwertung der Hanse- zur Landeshauptstadt versprochen.

Auch für das EU-Parlament gibt es keine Prozent-Hürden mehr. Und so wählten genug Deutsche den Spitzenkandidaten Martin Sonneborn im vergangenen Jahr ins EU-Parlament, wo er sich nun nach eigenen Angaben vor allem von Empfang zu Empfang futtert und mit ironischen Kommentaren Kollegen wie den Christdemokraten Elmar Brock, seit 1980 in Brüssel, piesackt. Letztendlich hat Sonneborn somit tatsächlich das Amt eines Hofnarren inne: Er ist ein vom Steuerzahler entlohnter Possenreißer, der sich in der Höhle des Löwen umschaut und keine Angst hat, wenn andere brüllen.

Im Frankfurter Hof erzählte der begnadet trockene Satiriker nun vom Werdegang der „Partei“ und deren gelungenen Eulenspiegeleien. So verzierte man in der Vergangenheit, da man sich keine eigenen Wahlplakate leisten konnte, die der Mitbewerber mit Plakatergänzungsaufklebern oder tauschte Aushänge der rechtsradikalen NPD mit eigenen Entwürfen.

Das alles für sich genommen ist harmlos, hat jedoch Potenzial: Statt politikverdrossen die Wahl zu verweigern, nutzten viele die Möglichkeit, mit der „Partei“ und ihrem Protagonisten Sonneborn das System subversiv zu unterwandern. Die „richtigen“ Politiker täten vielleicht gut daran, Satirikern zuzuhören, statt wie jener CDU-Politiker Brock jüngst in einem Interview zu ätzen, Sonneborn sei „ein bösartiger Mensch“, der „nichts schafft“.

Das mag man sehen, wie man will: Ein Abgeordneter erhält mit Grundgehalt und Spesen rund 160000 Euro. Geteilt durch die Bürger der EU zahlt jeder Sonneborn jährlich somit etwa 0,0005 Cent – für den Liebhaber intelligenten Spotts eine sinnvolle Investition.

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