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Die Seele des Akkordeonspielers

MAINZ (2. April 2012). Doch, man nimmt es ihm schon ab, wenn er sagt: „Ich freue mich riesig, dass Sie heute Abend hierher gekommen sind.“ Frank Grischeks Mimik spiegelt dieses Gefühl nicht unbedingt, was an seinem notorischen Stoizismus, mit dem er sein Programm „Unerhört“ optisch unterfüttert, liegt. Dem Publikum erlaubt der Künstler einen tiefen Blick in die Seelenlandschaft eines Akkordeonspielers, begleitet von hochvirtuosen Klängen auf der Quetschkommode, dem Schifferklavier und Jammerbalg.

Es ist eine neue Erfahrung für ihn, so allein auf der Bühne. Zum einen begleitete er über Jahre die beiden Kabarett-Granden Jochen Busse und Henning Venske, spielte in seiner adoleszenten Ära aber auch in Akkordeon-Orchestern: „70 auf der Bühne und ein altes Ehepaar im Publikum – taub und gefesselt.“ In der Tat gibt es einen himmelhohen Unterschied zwischen dem filigranen, solistischen Spiels Grischeks und dem polkaseligen Musizieren im Tutti – schließlich ist das Eintrittsgeld dieses Abends „eine Investition in einen kurzen Moment des Glücks mit einem Instrument, von dem keiner eine hohe Meinung hat“.

Frank Grischek fühlt sich auf der Unterhaus-Bühne hörbar wohl, auch wenn er seinen fatalistischen Griesgram als stilistische Konstante einsetzt. Auf diesen trifft man auch in deutschen Fußgängerzonen, wo drei Weisen erklingen: eine für Kinder, eine für Frauen und eine für Rentner. Hat Grischek hier selbst schon konzertiert? Er kann sich zumindest tief hineinfühlen in die Kollegen auf der Straße, die dem Stadtbild zuweilen französisch-russisches Flair verleihen. Wenn der Künstler des Abend in die Tasten seiner italienischen „Borsini Super Star“ greift und die Musettes „Sous le ciel de Paris“ und „Rivalité“ anstimmt, dann schmeckt man geradezu gut gekühlten Sancerre oder aromatischen Pastis auf den Lippen.

Mit fünf Jahren stieg er mit Märschen, Ländlern und Foxtrott in das begrenzte Repertoire des Akkordeons ein: „Wie viele Stücke kennen Sie, die ausschließlich für dieses Instrument geschrieben wurden?“, fragt er sein Publikum: „Zehn? Fünf? Vier? Abgesehen von James Lasts ‚Biscaja‛?“ Grischek hat natürlich einen viel größeres Programm: „Libertango“, „Adios Nonino“ und „Tanti anni prima“ von Astor Piazolla, Irish Folk und „New Musettes“ von Richard Galliano sowie rasante Bearbeitungen von Bachs „Toccata und Fuge d-moll“, Chopin, Mozarts „Rondo Alla turca“ oder einem „Ungarischen Tanz“ von Brahms – bereits zwei grandiose CDs zeugen von der hohen Kunst des Virtuosen.

All das spielt er mit einer hinreißenden Melange aus Melancholie und Lebensfreude, lässt auf der Bassgrundierung die Melodien mit Trillern und Prallern flirren, spannt grandiose Bögen, moduliert mit dynamischem Anschlag und gibt den einzelnen Stücken mit pikanter Agogik ein markantes Gesicht, bis sie im finalen Diminuendo zitternd ausklingen. Keine Frage: Beim nächsten Gang durch die Fußgängerzone hört man den Kollegen genauer zu – und hat ein paar Münzen mehr in der Tasche…

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