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Glänzende Augen im Publikum

MAINZ (12. März 2014). Sägemehl? Fehlanzeige. Auch wölbt sich kein Zirkuszelt über den Saal des Frankfurter Hofs. Und doch wird die Spielstätte zur Manege, wenn die Schweizer Clownin Gardi Hutter gastiert – diesmal als Schneiderin. Gewohnt unförmig ausstaffiert sitzt sie da in einer puppenhaft eingerichteten Nähstube, wirkt mit ihrem Spiel den Stoff, aus dem Träume sind.

Und das genießen nicht nur die Erwachsenen: Auch einige Kinder blicken mit großen, glänzenden Augen auf die Bühne und verfolgen das tolle Treiben dieser lustigen Figur, die da grantelnd im Schneidersitz hockt.

Hutters Lachen steckt an: wenn sie versucht, den Faden in das Nadelöhr einzuführen – alles ist ein bisschen groß geraten –, wenn sie zwei Garnrollen miteinander flirten und schließlich eine engere Bindung eingehen lässt, die vom väterlichen Zwirn jedoch zeitweise gekürzt wird. Hutter spielt kleine Miniaturen im großen Stück, an dessen Ende sie zärtlich das Zeitliche segnen wird.

Doch noch ist sie quicklebendig, weckt ihre eingeschlafenen Beine durch Zurufe und Nadelstiche, lässt Hochzeitskleider heiraten und sich sogleich fortpflanzen – dass cremefarbenes Gewand und schwarzer Frack ein rotes Kleid mit weißen Punkten zeugen, gehört zu den vielen Phantasien, die Hutter neckisch in ihr Programm „Die Schneiderin“ eingewoben hat. Kämpfe mit Stoffballen, ein „Can-Can“ von den Schneiden der Scheren getanzt, die Erfindung eines grippalen Klettverschlusses oder eine verschluckte Nadel, die mit einem Magneten wieder ans Tageslicht befördert wird – rasant folgt Hutter ihrem roten Faden, über den sie als Clownin natürlich immer wieder mit Trara stolpert.

Dass der zirzensische Spaß weit mehr als die Torte im Gesicht sein kann, beweist das Stück, als die Schneiderin im angelaufenen Spiegel ihrem inneren Ich begegnet – eine Nahtoderfahrung, nachdem sich die Handwerkerin bei einem Sturz in die Restetonne die sprichwörtliche „Schere im Kopf“ zugezogen hat. Mittels luftiger Videoprojektion begegnet der Clown seinem Klon, der ihn ins Jenseits zu ziehen versucht. Hutter aber möchte lieber noch im Stofflichen verweilen und zögert das Abreißen des Lebensfadens noch durch eine letzte Zigarette oder eine schnell zusammengestrickte Henkersmahlzeit hinaus.

Ein bisschen stößt sich das Improvisationstheater an der technischen Perfektion der Einspielung, doch spätestens als der ebenfalls verstorbene Wellensittich mit Wucht von innen gegen den Spiegel knallt, versöhnt der Effekt mit der Irritation.

Hutters mit ansprechender Musik passend unterlegtes Spiel erinnert dabei an den Stummfilm, doch ihre mit herrlichen Grimassen gespickte Mimik und eine grummelnden Phantasiesprache ersetzen den Untertitel problemlos. Am Ende vereint sich Hutter mit ihrem seelischen Spiegelbild und segelt auf weißer Stoffbahn nahtlos und lächelnd ins Jenseits. Den dankbaren Applaus nehmen dann beide entgegen.

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