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Gelungen gesungen

MAINZ (13. November 2013). Welch eine angenehme Überraschung: Nach all den rundgelutschten und zur daher fast schon gesichtslosen Perfektion getriebenen A cappella-Formationen, die sich auf deutschen Bühnen tummeln, wagt mit „Vocal Recall“ ein tastenbegleitetes Trio den Sprung in die Kleinkunst-Arena, bei dem die Liebe zur Musik noch richtig spürbar ist!

Reinhard Mey, in früheren Tagen selbst Gast im Unterhaus, dichtete 1986: „Da lob‘ ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht, / noch von einem richt‘gen Menschen mit dem Kopf erdacht.“ Er wünschte sich „halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut, / meinetwegen auch mal mit ‘nem kleinen Fehler, das tut gut.“

In genau diesem Geiste musiziert auch „Vocal Recall“ und meistert sein Unterhaus-Debüt erfolgreich: Alice Köfer, Dieter Behrens und Mathis Hagedorn, an diesem Abend pianistisch unterfüttert von Matthias Behrsing, sind nach eigenen Angaben eine „Boygroup mit Frau, eine A cappella-Gruppe mit Cappella und eine Coverband mit eigenen Songs“. Das groovt und hat Schwung, eben weil es ein leidenschaftlich gerittenes Steckenpferd und nicht der Hauptberuf der Künstler ist: Alle haben andere künstlerische Engagements und widmen sich diesem vokalen Hobby daher mit umso größerer Empathie.

Da wird anfangs gleich mal für den Eintritt gedankt – frei nach Abba mit „Thank you for the money“. Das aktuelle und in Mainz gespielte Programm „Ein Lärm, der Deinen Namen trägt“ weist wie sein Pendant „Dieser Keks wird kein weicher sein“ den Weg in Richtung liebevolle Respektlosigkeit im Umgang mit dem klingenden Liedgut anderer. Ständig erwischt man sich beim Gedanken „Das kennst Du doch!“ und muss sich ermahnen, dem unterhaltsamen Bühnentreiben zu lauschen anstatt in seinen Gehirnwindungen nach dem Original zu fahnden.

Der Disco-Funk-Hit „Voulez-vous coucher avec moi ce soir?“ von Kenny Nolan und Bob Crewe wird zu „Nur durch Bulimie wirst’n Star“ und Billy Joels „Uptown Girl“ rät dem weiblichen Geschlecht, sich um seinen Kühlschrank zu kümmern: „Abtau’n, Girl!“ Dazwischen Neckereien der hörbar harmoniebedachten Stimmen mit geistvollen Gedichten aus der Feder von Dieter Behrens im Anblick seiner Socke: „Stoff? Noch dicht. / Noch nicht: Loch.“

Der Umgang mit Sprache und Musik gelingt „Vocal Recall“ leger und unangestrengt. Nenas „99 Luftballons“ werden zu Pappkartons eines Umzugs und „Mexico“ von „Les Humphries“ zur Warnung „Mett ist roh“. Schnell sind fast zwei Stunden Programm gespielt und gesungen und Barry White, die Bee Gees und sogar Dieter Bohlen durften kräftig in Mozarts „Zauberflöte“ blasen. Da capo!

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