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Atemlose Anfänge

MAINZ (26. April 2011). Es ist schon seltsam, wie manche Sänger in der breiten Wahrnehmung auf nur einen Titel reduziert werden: Reinhard Mey geht es mit seinem Lied „Über den Wolken“ so und auch Georg Kreisler, jenem großen Chansonnier mit österreichischen Wurzeln bringt man allgemein hin sofort mit „Tauben vergiften im Park“ in Verbindung.

Vielleicht ist es auch jene unverdiente Reduktion, die den gebürtigen Wiener selbst mit bald 89 Jahren auch andere Ausdrucksformen suchen lässt: „Ich setze mich nicht mehr ans Klavier und singe meine Lieder, aber nicht, weil ich das nicht könnte, sondern weil ich es falsch fände. Es passt einfach nicht mehr zu einem alten Mann wie mir.“

Nun, darüber mag man geteilter Meinung sein und ein bisschen fehlt der Flügel auf der Bühne im Frankfurter Hof schon. Dafür ist Georg Kreisler nicht allein: Gemeinsam mit seiner Frau Barbara Peters liest er aus seinen Büchern „Anfänge“ und „Zufällig in San Francisco“. Kreisler stellt die Anfänge natürlich hintan: Im Gedichtband, dem das Poem „Zufällig in San Francisco“ seinen Namen gab, stehen „eingeflüsterte, unbeabsichtigte Gedichte“, wie Kreisler erzählt.

Vertonen will er sie nicht – aber verlesen. Im Wechsel mit Peters werden die Verse vom „Tausendsassa“, einem vernebelten Seitenhieb auf die Literaturkritik, von der reitenden Elfe, einer Assonanz auf Goethes „Erlkönig“ oder vom unbeugsamen Künstler Willibald intoniert. Auch sie atmen den kritischen Freigeist des Satirikers, den schwarzen Humor und zuweilen boshaft kichernden Spott, wie man ihn aus den Liedern des Kabarettisten kennt und noch immer schätzt.

Kreisler durchbricht den Vortrag durch Anmerkungen, die sich der Dichtung widmen: „Sie ähnelt der Musik: Auch sie versucht, etwas auszudrücken, was man nicht ausdrücken kann.“ Verse sind für Kreisler „unsere wunderbare Welt“, wobei er frei zugibt, alles zu bereuen, was er je geschrieben habe: „Ständig ist man unzufrieden mit dem eigenen Geschreibsel…“ Ob das wohl auch in der Retrospektive für jene Dichter gilt, die 1914 ein Loblied auf den heraufziehenden Weltkrieg sangen? Mit Versen sogar von Thomas Mann zeigt Kreisler auf, wie derartige Texte entstehen und adelt seine Lesung mit philosophischem Gedankengut.

Einziger Knackpunkt des Abends ist vor allem bei den Gedichtvorträgen die Atemlosigkeit: Man hat kaum Zeit, die Güte von Text und Vortrag vor allem Barbara Peters‘ zu goutieren.

Ans Aufhören denkt Georg Kreisler zum Glück noch nicht, wovon seine „Anfänge“ zeugen: Im gleichnamigen Buch kann man beginnende Kriminalgeschichten und Familienromane, Briefe und Vorträge nachlesen, die mit voller Absicht irgendwann im sprachlichen Treibsand stecken bleiben: „Das Anfangen ist nicht schwierig“, bemerkt Kreisler trocken: „Aber das Weitermachen.“ Doch auch damit hat Kreisler offenbar noch immer keine Probleme…

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