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„Am Grab ist von Gratulationen abzusehen“

BENSHEIM (28. September 2019). Der bald 70-jährige Gerd Dudenhöffer hat seinem Heinz Becker bereits ein langes Leben geschenkt. Mit an seiner Seite: ‘s Hilde, treue Gattin und Mutter des gemeinsamen Sohnes Stefan – in der TV-Serie anfangs dargestellt von Marianne Riede-Weber, dann unglaublich treffend von Alice Hofmann, später von Sabine Urig. Keine Frage, man hat ein Bild von ihr im Kopf, wenn Becker auf der Bühne von ihr spricht. Das ist auch im neuen Programm so. Es heißt „DOD“.

Nur, dass sie eben nicht mehr da ist: Dudenhöffer betritt als Heinz die Bühne des Bensheimer Parktheaters, wo das neue, mittlerweile 18. Soloprogramm des Saarländers Premiere hat. Das von Werner Klaus und Kirstin Köppel instinktsicher nach der Vorgabe des Künstlers gestaltete Bühnenbild zeigt die Küche, wie man sie aus dem Fernsehspiel kennt; sogar das Muster auf der Tapete stimmt. Bis auf ein von hinten beleuchtetes Fenster ist alles grau, leichter Kunstnebel legt zusätzlich einen Schleier über die Kulisse. Schweren Schrittes und ganz in schwarz geht Heinz zum Küchentisch und legt ein paar weiße Calla auf den Tisch. Die wollte er eigentlich noch ins Grab werfen – Hildes Grab.

Mit „DOD“ verlässt Gerd Dudenhöffer nicht die gewohnten Denkwege seines Heinz, aber er verpasst ihnen eine Zensur: Hat der sonst das Weltgeschehen aus dem Geviert seiner geistig umzäunten Reflexion im Blick, ist er nun auf sich selbst zurückgeworfen. Stefan hat vor auszuziehen und schon auf der Beerdigung spricht ihn der Sparkassenleiter auf den Verlauf des Eigenheims an – Interessenten hätte er schon. Na ja, vielleicht baut Heinz jetzt erst mal Hildes Bett im Eheschlafzimmer ab – aus den Brettern ließe sich bestimmt ein geräumiges Regal für die Garage zimmern. Und sein Name steht schon auf dem gemeinsamen Grabstein: samt Geburtstag und den ersten beiden Ziffern 2 und 0 beim Sterbejahr. Die anderen beiden gibt es dann gratis.

Schon als Dudenhöffer im Frühjahr im Interview sein neues Programm umriss, fragte man sich, wie das wohl funktionieren könnte. Echte Zweifel hatte man nicht, war aber doch gespannt, wie der Kabarettist das sensible Thema Tod an- und vor allem verpackt. Möchte man Heinz zuweilen für seine verqueren Ansichten schelten, gehört ihm diesmal das volle Mitgefühl. Die Figur ist wie ein Spiegel, in dem man sich selbst oder den eigenen Vater sieht: „Das Schlimme ist nicht das Alleinsein, sondern das Alleinmachen“, sinniert Heinz und berichtet von der nicht funktionierenden Waschmaschine, die sich dann doch als Trockner herausstellt.

„DOD“ ist kein Kabarett im herkömmlichen Sinne. Natürlich wird gelacht. Das soll auch so sein, wenn Heinz einige seiner Sottisen unters Publikum streut. Da hat er zum Beispiel in Hildes Schrank einen Karton mit alten Medikamenten gefunden – teils noch mit D-Mark-Preisen: „Die könnte man doch in einem Flüchtlingsheim vorbeibringen“, meint der Witwer es nur gut: „Drei neue Paar Stützstrümpfe sind auch dabei – wo die da doch den ganzen Tag nur rumsitzen.“ Nur wer Dudenhöffer partout falsch verstehen will, ortet hier Witze über Randgruppen. Genauso gut könnte man es auch als Kritik am Umgang mit den Menschen in der Unterkunft lesen. Heinz ist kein typischer AfD-Wähler, aber eben doch ein leichtes Opfer für rechte Rattenfänger.

Die Gedanken kreisen immer wieder um ‘s Hilde, die beim ersten Rendezvous beim Autoscooter auf der Kirmes gefragt hatte, ab wann sie jetzt eigentlich verliebt seien und die den verbilligten Parkettreiniger gekauft habe, obwohl man doch nur Teppich hat: Man müsse sparen, wo man könne. Neben solchen aus der Erinnerung gekramten Anekdoten spricht Heinz auch über Testament, Erben, Patientenverfügung, Beerdigungskosten, den ganzen bürokratischen Aufwand. Die Stimmung schwankt zwischen amüsiertem Glucksen und betretenem Schweigen an den richtigen Stellen. Und dann haut er wieder einen raus: ‘S Hilde habe ja nichts geschafft, also sei nur Hausfrau gewesen – ob das jetzt über die Hausratsversicherung laufe. Und leider war kein Bier im Kühlschrank, als er heimkam.

„DOD“ hat also lustige und gewohnt zynische Momente sowie viele gekonnt tragikomisch inszenierte Augenblicke. Aber es gibt auch solche voll tiefer und vor allem echter Melancholie: Heinz erzählt, wie seine Mutter starb und der Vater ihn eher unwillig an die Hand nahm („Das erste und einzige Mal, an das ich mich erinnern kann.“); er beschreibt das Foto in der Leichenhalle, auf dem sich Hilde noch immer Sorge um ihre Frisur zu machen scheint („Was sollen denn die Leute denken?“); er erwähnt, wie er sie nach dem weißen Hemd mit den Manschetten gefragt habe, falls man unvermutet auf eine Beerdigung müsse („Es hing im Schrank, als hätte der Herrgott es gewusst.“) – hier lässt Dudenhöffer seinen Heinz ganz ohne Peinlichkeit, aber voller Pathos mit den Tränen kämpfen. Diese Geste nimmt man ihm als grandioses Schauspiel voll ab.

Der Schluss dieses brillant erdachten und gespielten Ein-Personen-Kammerspiels kommt so abrupt wie Hildes Tod. Heinz sitzt am Tisch, wo die letztendlich ja doch geliebte Frau – dem Pfarrer habe er „so im Großen und Ganzen nichts Schlechtes“ über sie erzählen können – immer ihr Lieblingslied gesungen habe – das „Wiegenlied“ von Johannes Brahms: „Guten Abend, gut‘ Nacht“, singt nun auch Heinz. Und schließt mit dem schönen wie grausamen Gedanken: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt.“ Trost? „Es stirbt jeden Tag einer, nach Kriegen oder Seuchen – und der Ehe.“ Dem Schrecken dieser Welt und dem des Todes begegne, wer kann, am bestem mit Humor. Und zitiere dann ebenfalls Brahms: Deutsches Requiem op. 45, sechster Satz, ab Takt 107.

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