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Verbales Kopfschütteln

MAINZ (22. November 2018). „Heute wegen Gestern geschlossen“, informiert ein Zettel an einer Kneipentür. So etwas fotografiert Jess Jochimsen gerne und montiert es zu wunderbar abstrusen Dia-Schauen. Sie geleiten das Unterhaus-Publikum in die Pause und beenden den ohnehin amüsanten Abend: Man sieht unter anderem eine Gardine mit Aussparung für das pensionseigene TV-Gerät auf der Fensterbank oder drei Wegweiser: Bahnhof, Reiterhof, Friedhof. Solche Momentaufnahmen aus dem Land, in dem wir leben, hat Jochimsen auch in Buchform publiziert.

Der Kabarettist beobachtet und entdeckt dabei nicht nur Humoriges: „Heute wegen Gestern geschlossen“ könne auch für die Zukunft gelten: „Zu viel Kriege, Krisen, Angst vor Flüchtlingen, Abgrenzung.“ Gänzlich moralinsäurefrei zitiert er Tucholsky: „Gegen Angst hilft Mathematik.“ Eine Million Migranten gegenüber 80 Millionen Bundesbürgern? Und schon würde aus der alles verschlingenden Flüchtlingswelle ein Rinnsal.

Jochimsen gönnt jedem seine Bedenken, doch weiß er auch, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist: „Wovor fürchten wir uns am meisten? Und verschwindet das, wenn wir uns einsperren?“ Sätze wie „Ich bin ja kein Rassist, aber…“ entlarvt er messerscharf: „Wie fühlen Sie sich, wenn Ihnen im Wald jemand begegnet, der sagt, er sei ja kein Serienkiller, aber…?“ Jochimsen greift neue Begrifflichkeiten wie „Bio-Deutsche“ auf, die früheren Arier. Und die Ohrfeige folgt sofort: „Als ich zur Schule ging, war Bio und Deutsch die Kombination für die, die von gar nichts einen Plan hatten.“

Politisch wird es zwischen den Zeilen. Jochimsen wünscht sich Horst Seehofer als Biathlon-Beauftragten („Das können wir am besten: schießen und dann weglaufen.“) und Menschen, die Politiker wie ihn vor sich selbst schützten. Die Gesellschaftskritik kommt im jovialen Plauderton daher, ein verbales Kopfschütteln über die bundesdeutschen Merkwürdigkeiten zwischen Fußball, Tatort und Volksmusik, ergänzt durch Songs in Liedermacher-Qualität. Zuhören lohnt sich und ganz nebenbei erfährt man auch die Definition von Glück. Sie stamme vom Schweizer Kabarett-Kollegen Christoph Simon: „Glück ist, wenn man mit Menschen, mit denen man absolut nichts zu tun haben will, auch tatsächlich nichts zu tun hat.” Einer wie Jess Jochimsen gehört definitiv nicht dazu.

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