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Von Bienen, Blumen und Bischöfen

MAINZ (24. Mai 2016). Literatur – auch wissenschaftliche! – ist vor allem (oder nur) dann ein Genuss, wenn es dem Autor um die Sache geht, wenn er sie ansprechend und eingängig behandelt und -schreibt, sich nicht in schmückenden oder verwirrenden Satzkaskaden verliert. Denn dann wird’s nämlich anstrengend.

Gleiches gilt für das gesprochene Wort. Der Kabarettist Jürgen Becker ist zum Glück ein Künstler, der dieses Handwerk bestens versteht. Seine Programme sind immer Vorträge und als pointierte Festreden der Formulierkunst rheinischen Zungenschlags vor allem eines: genauso spannend wie unterhaltsam, informativ wie inhaltsschwanger.

Womit man auch schon beim Thema des aktuellen Programms ist: Es heißt „Volksbegehren“ und widmet sich dem Mysterium der Fortpflanzung. Der Witz besteht schon darin, dass dieser Topos noch immer zwei Seiten hat: die in der Werbung, in Film und Fernsehen sowie online genüsslich dargestellten nackten Tatsachen sowie die Ironie, dass Sex trotzdem einen peinlichen Goût besitzt – bei aller Offenheit: Da spricht man doch nicht drüber.

Jürgen Becker tut es mit seinem „Volksbegehren“ dennoch – wie immer locker und doch genauestens recherchiert, wohl belegt und passend illustriert. Schließlich hat die Kunstwelt aller Epochen wunderbare Zeugnisse hinterlassen: von indischen Tempelstatuetten über Meister Bertrams „Vertreibung aus dem Paradies“, Rembrandts „Paar beim Liebemachen“ oder Gustave Courbets „Schlaf“ bis hin zu René Magrittes „Liebenden“. Wie schon im Vorgängerprogramm „Der Künstler ist anwesend“ beeindruckt der Kölner mit fundiertem Wissen, das er äußerst amüsant verpackt.

Nun also „Let’s talk about Sex“: Becker wirft warmes Licht in diesen selbst eröffneten Dark-Room, fängt an bei Adam und Eva und endet im Hier und Heute, berichtet von der völlig unschlüpfrigen Vermehrung der Einzeller, von Liebe und Eros, von Gott und der Welt. Und als würde sich Becker seine Themen nach diesem Kriterium aussuchen: Schuld ist natürlich die Religion, vor allem die katholische. Da wird Kirchenvater Augustinus zitiert, nach dem Sex ausschließlich der Fortpflanzung zu dienen hätte und notabene keinen Spaß machen dürfe. Beckers Kunst hierbei ist es jedoch, bei aller geäußerten Kritik nicht bewusst zu verletzen und den „Apfel der Erkenntnis“ immer mit der offenen Hand anzubieten.

Sein Kabarett ist nie oberflächlich, sondern tiefgründig, auch wenn der Dialekt bei jedem Thema – ob Kunst, Bildung, Politik oder eben Fortpflanzung – gehörig für Auftrieb sorgt. In diesem Spannungsfeld agiert ein Künstler, dessen Mitteilungsbedürfnis nie aufdringlich ist oder belehren will. Da wirken die flockig eingestreuten Kalauer wie die Kirsche auf einem Stück Torte aus dem Schwarzwald.

Man lernt viel, denn Beckers Humor ist einer, der Wissen schafft. Dieser Kabarettist spricht nicht nur, er hat vor allem etwas zu sagen. Selbst oder vor allem in „Volksbegehren“ lässt sich nämlich das rheinische Postulat der Toleranz fabelhaft platzieren, schließlich habe die Abschottung und das Schmoren im eigenen Saft langfristig noch immer zum Untergang einer jeden Kultur geführt. Auch wenn man jetzt nicht sofort mit dem nächstbesten Fremden in die Kiste steigen muss, ist dies in Zeiten der aktuellen (und kommenden) Völkerwanderungen keine unwichtige Erkenntnis, die einem „Becker, der Entdecker“, so der Titel einer WDR-Serie mit ihm aus dem Jahr 2012, an diesem Abend neben vielen anderen vermittelt.

Hier lohnt sich das Nachlesen: „Zu Dir oder zu mir? Das Mysterium der Fortpflanzung“ von Jürgen Becker, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch als KiWi-Taschenbuch (188 Seiten, 9,99 Euro); ISBN 978-3-462-04900-8

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