Nachrichten aus Absurdistan
MAINZ (23. September 2013). Wut und Zärtlichkeit – für Konstantin Wecker liegen diese beiden Gefühle nahe beieinander. So nahe, dass seine 2011 erschienene CD diesen Titel trägt. Und auch das Programm, mit dem er durch die Lande tourt heißt so: Wut und Zärtlichkeit.
Im Mainzer Unterhaus gastierte Konstantin Wecker nun an drei ausverkauften Abenden gemeinsam mit seinem brillanten Pianist Jo Barnikel. Der zornig-zärtliche Bajuware hat eine treue Fangemeinde. Und die liebt ihn dafür, dass er in seinen Liedern für sie und mit ihr beide Extreme auslebt und erträgt: die Wut und die Zärtlichkeit.
Eigentlich schließt das eine das andere ja aus, soll es nicht zu einem selbstzerstörerischen Impetus ausarten. Doch Wecker wäre nicht Wecker, wenn er sich nicht mitten in dieses emotionale Spannungsfeld begeben würde. Im Titelsong geht es eben darum: Will man seine Wut artikulieren oder sich der Schmeichelei hingeben?
Doch ein Entweder-oder war noch nie das Ding des Revolutionärs und auch von den persönlichen Tiefpunkten seiner Biografie schoss Wecker immer dem Phönix aus der Asche gleich empor. Innehalten vielleicht, aber Resignation? Niemals! Und Wecker singt aus voller Kehle: „Eines fügt sich doch zum andern, nichts besteht für sich allein. Flüsse, die getrennt mäandern, leiben sich dem Meere ein.“ Und weiter: „Zwischen Zärtlichkeit und Wut fasse ich zum Leben Mut.“
Natürlich ist der Tag nach der Bundestagswahl ein Termin nach Maß für einen wie Wecker. Und außerdem jubelt der bekennende SPD-Wahlkämpfer mit den konservativen Wahlsiegern, ermöglicht ihm das Ergebnis doch, seine ironische Liebeserklärung an die Kanzlerin vier weitere Jahre singen zu können. Ein Liederabend mit Wecker ist eben immer auch politisches Statement – mitten in diesem „Absurdistan zwischen Hatz IV und Wachstumswahn“, wo die „Menschenwürde unter Finanzierungsvorbehalt“ steht.
Die CDs von Wecker mit großer Band sind eine Sache – ein quasi solistischer Abend mit Klavier und Stimme eine ganz andere, denn hier im Unterhaus sind die Wut und die Zärtlichkeit Weckers viel intensiver spürbar. Vor allem im exzellenten Zusammenspiel mit Barnikel: Auf zwei Klaviaturen parlieren die beiden Vollblutmusiker grandios und galoppieren in der Zugabe augenzwinkernd durch beliebte Titel und Themen.
Alte und neue Lieder singt der Barde mit markant eindringlichem Timbre und kokettem Zungenschlag: Leise Poesie und Liebeslust, pralle Daseinsfreude und heiliger Zorn – der Mann polarisiert nicht nur, er verkörpert die Angelpunkte in all ihren Widersprüchen und inneren Konflikten geradezu.
Ein Abend mit Konstantin Wecker ist letztendlich auf Konfrontation aus. Und der Zorn gegen den einen ist immer auch gleichzeitig die Zuneigung für den anderen: Es wird hinterfragt, provoziert, eingefordert und wider den Stachel gelöckt: „Empört Euch“, heißt ein neueres Lied, „Sagt‘ nein!“ eines seiner besten älteren in diesem Konzert.
Und auch ohne rotes Parteibuch denkt man am Ende nach einem innigen „Buonanotte Fiorellino“ darüber nach, was man selbst angesichts der Gegenwart wohl eher verspürt: Sehnsucht nach Zärtlichkeit oder doch eher eine (noch) unartikulierte Wut? Klangvolle Denkansätze gab es genug.