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„Lasst uns jetzt zusammenstehen!“

MAINZ (29. Juli 2018). Das Wichtigste kommt gleich am Anfang, noch vor dem offiziellen Konzertbeginn: Konstantin Wecker singt eine aktualisierte Version von „Willy“, entstanden vor 50 Jahren. „Ich hätte mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können, dass das heute wieder so aktuell ist“, konstatiert der 71-jährige Barde und knöpft sich all jene vor, für die die Nazizeit „nur ein Vogelschiss“ war. In Weckers Stimme glimmt ein Hauch von Verzweiflung, aber der Widerstand lodert nach wie vor aus den Liedzeilen hervor, vielleicht sogar heller und heißer. Es ist gut und wichtig, dass er dieses Lied vor allen anderen spielt.

Ein Wecker-Konzert ist immer mehr als Musik: politisches Statement, ein Ringen um die Wahrheit, auch wenn nicht wenige ihn als Träumer und Utopisten abstempeln dürften. Für den Sänger ist es eine Herzensangelegenheit, sein Publikum auf das friedliche Miteinander und gegen Nationalismus, die Ellbogenmentalität des „Monsters Neoliberalismus“ einzuschwören. „Wer seine Identität nicht in sich selbst findet, der sucht sie bei Identitären“, mahnt der Sänger und fragt in die Runde: „Wir waren doch auf einem guten Weg – haben wir’s versaut?“

Angesichts der aktuellen Stimmungsmache im Land fragt man sich das tatsächlich und es tut gut, mit Konstantin Wecker einen zu haben, der das in so kraftvollen Worten und Klängen ausdrückt, was an diesem Abend wohl rund 1.700 Menschen auf der Zitadelle bewegt. Er singt von einem, der „gerne Brandung sein will und als Gischt endet“ – wer ähnlich empfindet, dem können die Lieder des Bajuwaren Kraft und Rückhalt geben. Auf jeden Fall machen sie Mut.

Und das hat Gründe: Weckers blutvolle Verse, die Musik voller Tiefgang, in Mainz gespielt von genialen Kollegen um Weckers langjährigen Pianisten Jo Barnickel. Natürlich ist es aber vor allem die Ausstrahlung des Künstlers selbst: Er zeigt echte Haltung, überzeugt durch Authentizität. Am Ende des Konzerts begibt sich Wecker ins Publikum, schüttelt Hände, umarmt wildfremde Menschen, ruft seine Zuhörer auf, es ihm gleich zu tun: „Ja, das funktioniert – nicht nur auf dem Kirchentag.“

Dieser Geste vorausgegangen ist ein gut dreistündiges Konzert, das Wecker anlässlich seines runden Geburtstags vor einem Jahr unter das Lebensmotto „Poesie und Widerstand“ gestellt hat. Vielleicht hat er es tatsächlich geschafft, die Welt ein Stück weit zu poetisieren, wie es in „Novalis“ heißt? Zuweilen ist es auf der Zitadelle andächtig still, wenn Wecker nach energiegeladenen Liedern („Sagt nein“, „Empört Euch“, „Was keiner wagt“) ruhigere, nur von Klavier und Cello begleitete Töne anschlägt.

Er rührt mit einem Einspieler, in dem Vater Alexander, früher Opernsänger, mit dem kleinen Konstantin im Duett singt – die Aufnahme stammt aus dem Wohnzimmer der Familie anno 1959. Danach liest Wecker aus seinem Buch „Der Klang der ungespielten Töne“ über die letzten Augenblicke, die er mit seinem Vater erlebte und bekennt: „Mir flog das zu, was Dir verwehrt geblieben, Du hattest Größe und ich hatte Glück.“, heißt es in „Niemals Applaus“.

Überhaupt ist dieses Konzert ein ergreifend sentimentaler Rückblick auf Höhen und Tiefen, die der Barde erklommen und durchschritten hat. Er ist dankbar für alles – es speiste die Quelle seiner Kunst, an der man sich damals wie heute nicht satt trinken kann.

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