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Lebensweisheiten in Noten

MAINZ (27. September 2011). „Ich habe lange darüber nachgedacht…“ Dieser Satz zieht sich als Bonmot durch das Solo-Programm von Hans-Eckardt Wenzel, jenem grübelnden Poeten, scharfen Spötter, traurigen Clown und lustigen Sänger. In Mainz begeisterte er jetzt eine handverlesene Zuhörerschaft – kleines Publikum im großen Unterhaus: Kaum mehr als 30 Gäste hatten den Weg gewagt. Sie aber wurden belohnt: mit handgemachter Musik und selbst gedachten Gedanken.

„Der Sommer war nur Hast“, beginnt Wenzel lamoryant und streut fein formulierte Verse ins Publikum: Von „gestauchten Stunden“ ist da die Rede, davon, dass „der Herbst die Eile auskühlt“. Und geht es ebenso beschaulich weiter? Eben noch am Flügel greift Wenzel jetzt in die Tasten des Akkordeons und stimmt ein Abendlied an: „Der Dax ist down gegangen / die Banker bilden Schlangen / vorm grauen Arbeitsamt…“ Zur Melodie von „Der Mond ist aufgegangen“ wechselt der Poet die Genres wie die Instrumente und liefert hochaktuelle Betrachtungen.

Das Publikum durchläuft diverse Temperaturen: Eben noch analysiert Wenzel kalt klirrend die Lage, dann besingt er glühend den Wert des Augenblicks. „Das Kabinett bietet derzeit das Personal für eine tolle Operette: die Unschuld vom Lande, ein gegelter Baron als Heiratsschwindler, ein vietnamesisches Waisenkind, sogar ein Behinderter und ein Homosexueller – fehlt nur noch ein Schwarzer…“ Doch statt eines lustigen Stücks brächte man nur ein Trauerspiel zustande. Da freut sich Wenzel schon heute auf die Altersmilde, wenn die Augen schlechter würden: „Dann sieht man das ganze Elend nicht mehr.“

Begegnet der große Kleinkünstler der aktuellen Lage mit ätzendem Humor, geht er sein Mainzer Publikum geradezu liebevoll an: „Ich komme ja auch aus einer Kleinstadt.“ Auf die Frage: „War der Papst auch bei Euch?“ erntet er die Antwort: „Nein, aber George W. Bush.“ Und spontan kommentiert Wenzel: „Das ist doch fast das Gleiche…“ Aber keine Angst vor Minderwertigkeitskomplexen: „Es gibt immer einen Ort, da ist es schlimmer“, macht er das Typische aus: „Der Deutsche fühlt sich doch nur wohl, wenn es einem anderen noch schlechter geht.“

Der Großteil des Programms sind jedoch gesungene Gedanken, die Wenzel am Klavier oder mit Gitarren- und Akkordeonklängen über die Bühne tanzen lässt: „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blüh‘n“, adaptiert er Goethe, intoniert als Exportweltmeister ein Kinderlied über das Fernweh und besingt den Rausch und das Schweigen: „Mohn und Kamille: Lautsein und Stille.“

Zum Glück hat Wenzel nicht auf die Stimmen gehört, die ihn immer wieder fragen, warum er nicht aus allem alles heraushole: Wie der Bohlen, der habe aus so wenigen Akkorden so viel Geld gemacht. Aber einem Manne nacheifern, der „das Brett vor dem Kopf schon im Namen trägt“? Dann doch lieber singen vom zweifelhaften Fortschritt oder von der Ökotante, Tanz- und Trinklieder: „Mein Herz geht fremd und träumt sich neue Sterne.“ Gut, dass Wenzel immer lange über die Sachen nachdenkt.

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