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Marschbefehl gegen eigene Gewissheiten

MAINZ (16. Dezember 2023). Der Begriff (oder Beruf) Liedermacher ist irgendwie klischeebehaftet und scheint noch immer gepachtet von Barden wie Reinhard Mey, der am 21. Dezember 81 Jahre alt wird oder Hannes Wader, der dieses Alter im Juni erreicht hat. Umso erfrischender und erfreulicher ist es, wenn da der (gerade noch) 37-jährige Falk Plücker mit der Klampfe auf der Bühne des bis auf den letzten Platz ausverkauften kleinen Unterhauses steht und beweist: Liedermacher ist ein verdammt lebendiger Beruf.

Allerdings besingt Falk auch in seinem aktuellen Programm „Unerhört“ andere Themen, ist weniger politisch und wird als Wahlhauptstädter sicherlich auch anders hausen als der Kollege Mey einst bei Frau Pöhl in Berlin SO 36. Der gebürtige Wuppertaler hat Geschichte und Philosophie studiert, sich aber für die Karriere als Liedermacher entschlossen. Und das ist gut so, denn auch wenn einige seiner spannenden Facetten an Kollegen wie Bodo Wartke, Rainald Grebe oder den leider viel zu früh verstorbenen Ludwig Hirsch erinnern, ist Falk doch eine ganz eigene Bühnenpersönlichkeit, der man gerne zuhört, weil sie etwas zu sagen hat.

Und das ist kongenial verpackt: in bissige, ja bösartige Songs und Chansons, in denen er das Publikum als singender Eulenspiegel gnadenlos im Spiegel der Erkenntnis in so manch verkniffene Fratze blicken lässt. Im Biomarkt, in den er sich verirrt hat, schlägt ihm zwischen Quinoa, Goji-Beeren und Blumenkohl auf Goldpreisniveau derart blanker Hass entgegen, als er nach einem Sandwichtoast fragt, dass er laut darüber sinniert, ob es nicht mal wieder einen Einmarschbefehl bräuchte, um das verwöhnte Bürgertum wieder zu erden. Starker Tobak, gewiss. Doch sitzt man nicht selber moralisch zuweilen auf derart hohem Ross, dass man gar nicht mehr wahrnimmt, durch welche Realität man trabt?

Noch deutlicher wird das im (an diesem Abend nicht gespielten) Song „Birkenstock“, der extreme Meinungen und missionarischen Eifer auf die Spitze treibt. Aber Falk hat in jedem Konzert ein ausgesprochenes Ziel: Jeder Zuschauer soll sich mindestens einmal getroffen fühlen und so richtig ärgern. Um das zu erreichen, fährt der Künstler eine klirrende Waffenkammer aus schartigem Schwert, feinem Florett und weit streuender Schrotflinte auf und singt seine sprachlich äußerst präzise gearbeiteten Verse auf seltsame Freunde, mangelnde Hygiene, öde Partys, Lieben des Lebens, Hypochonder oder Stressbewältigung. Nonchalant kündigt er seinen Eltern an, sie ins Heim abzuschieben und preist in „Smogsehnsucht“ und „Güllegeil“ die Vorteile des Stadt- und Landlebens in zwei Songs auf die identische Melodie.

Und ja, es klappt: Man erkennt sich des Öfteren in den Liedern wieder, fühlt sich lachend ertappt. Doch es ist auch ein befreites und befreiendes Lachen der Selbsterkenntnis. Nicht alles möchte man annehmen und setzt den Tipp, den Falk im letzten Lied vor der Pause gibt – es geht um das Kuren mit Eigenurin – lieber doch nicht gleich um. Aber dass man sich selbst zu den angeblich 80 Prozent zählt, die sich für einen hervorragenden Autofahrer halten, trifft natürlich zu. Und zumindest die Morgenmuffel im Publikum werden die Aussage „Wer vor dem ersten Kaffee spricht, ist ein mieses Arschgesicht“ unterschreiben.

Dabei kann er auch anders: Falk singt empfindsam wunderbare Balladen über Liebe und Beziehung oder spricht zartbitter über nostalgische Gefühle, die einem wohlig warm ums Herz werden lassen. Ganz großartig ist das Lied „In Vino“, in dem es melancholisch um Wahrheitssuche, Schuld und Sühne, Hoffnung und Trost sowie die eigene Vergänglichkeit geht. Da ist es plötzlich ganz still im Saal, wenn Falk reimt: „Wenn man schon nach der Erlösung, nach Vergebung und nach Liebe strebt, sollte man die vielleicht bei den Menschen suchen, mit denen man jetzt grade lebt. Noch kann man schließlich handeln, noch ist hier alles real, noch kann man so viel Gutes tun, noch hat man eine Wahl.“ Grandios.

Falk berührt und macht einen Riesenspaß: die ansprechende Musikalität in Wort und Klang, der ungezwungene Umgang mit jedwedem Thema und die fein-lyrischen Töne gegenüber einer prickelnden Boshaftigkeit, die wiederum Funken schlagend im Widerspruch zur lausbübischen Attitüde eines Guido Cantz steht – all das macht den Liedermacher Falk zu einem Ausnahmekünstler. Dass er den Saal locker füllt (was er im November 2024 dann sicherlich auch im großen Unterhaus schaffen wird), ist ein gutes Zeichen – nicht nur für den Barden.

Der „fehlende“ Song „Birkenstock“ ist hier zu hören: https://www.youtube.com/watch?v=wGDJ-gaavF8/

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