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Empirisch belegte Brötchen?

MAINZ (6. September 2018). Das aktuelle Programm des diesjährigen Trägers des Deutschen Kleinkunstpreises in der Sparte Chanson, Lied und Musik hat einen wunderbar lyrischen Titel: Marco Tschirpke serviert „Empirisch belegte Brötchen“. Schon ein Interview mit ihm ist ein sprachlicher Genuss:

Herr Tschirpke, Sie haben Tonsatz und Klavier studiert. Wie kamen Sie zum Kabarett?

Marco Tschirpke: Mit der S-Bahn. Berlin hat ja neben seinen Sehenswürdigkeiten auch begehbare Petitessen: Kleintheater mit großen Ansprüchen. Ich fuhr zu diesen Offenen Bühnen, weil der Tonsatz nach Praxis rief und offenen Ohren. Eine Sache vor einem Publikum zu verhandeln heißt ja, sie zu den eigenen Bedingungen zu verhandeln.

Musik und Sprache sind die Grundpfeiler Ihrer Kunst. Warum ist es unsinnig zu fragen, was für Sie den größeren Stellenwert hat?

Marco Tschirpke: Sie vermuten demnach, dass da Gleichberechtigung waltet? Bewahre! Der Text ist immer dominant, die Musik stets dienend. So wie der Kopf den Bauch steuert bei gesitteten Menschen.

Eine faszinierende Ausdrucksform ist für Sie das Lapsuslied. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff, der sich ja noch nicht im Duden findet?

Marco Tschirpke: In meinem Duden steht er drin. Ich habe ihn eigenhändig dazugeschrieben. Die Definition dahinter lautet: Lapsuslied = mißratenes Lied, aber mißraten auf vollkommene Weise.

Wie entsteht bei Ihnen eigentlich ein Gedicht?

Marco Tschirpke: Darf ich bildlich sprechen? Die Gedichte wachsen bei mir auf dem Balkon. Nicht selten ist es eine Schlusszeile, die mir einfällt, und die stecke ich tief in einen der Blumenkästen. Alle paar Tage schütte ich den ein oder anderen Gedanken drüber aus und wenn‘s gut läuft, geht die Saat irgendwann auf. Jedes Soloprogramm ist ein Erntedankfest.

Ihrer Vita ist zu entnehmen, dass Sie sich mit Nachdruck der Nichtvertonung der Gedichte von Günter Grass widmen. Welche Autoren gefallen Ihnen denn stattdessen?

Marco Tschirpke: Mit Gewinn gelesen hab ich zuletzt den „Streit um den Sergeanten Grischa“ von Arnold Zweig und Thackerays „Jahrmarkt der Eitelkeit“. In der Übersetzung von Katja Mann enthält er den schönen Satz: „Und sein Backenbart hatte allmählich das seine getan und war Fräulein Swartz ans Herz gewachsen.“

Ihr aktuelles Programm heißt „Empirisch belegte Brötchen“. Worauf darf sich das Publikum freuen?

Marco Tschirpke: Es geht um Erfahrungen mit der Jetztzeit. Um den Irrtum als Grundlage jeden Fortschritts. Darum, dass ich kürzlich mein Basilikum mit Milch gegossen habe und feststellen musste, dass auch Pflanzen an Laktoseintoleranz leiden können.

Marco Tschirpke wurde 1975 in Tahenow/Hawel geboren. Seit 2003 tritt er mit seinen „Laspusliedern“ auf, zu denen er sich selbst am Klavier begleitet. Auf den bislang erschienenen sechs CDs bevorzugt er kammermusikalische Arrangements. In den letzten Jahren verschob sich sein Akzent zunehmend auf Gedichte. Sie wurden in fünf Einzelbänden beim Mainzer Verlag André Thiele verlegt; mittlerweile erscheinen Tschirpkes Werke im Ullstein-Verlag.

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