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Das Ziel ist die Machtübernahme

MAINZ (22. Januar 2019). Just am Tag des Mainz-Gastspiels von Martin Sonneborn, früher Chefredakteur und seit 2006 Mitherausgeber der Satire-Zeitschrift „Titanic“ sowie aktuell fraktionsloser EU-Politiker der Partie „Die Partei“, war in der Zeitung zu lesen, dass sein Parlamentskollege und Intimfeind, der 72-jährige CDU-Politiker Elmar Brok, nicht mehr kandidieren werde. Der für seine aufbrausende Art bekannte Christdemokrat hatte Sonneborn einst in aller Öffentlichkeit angefaucht: „Sie sind faul, faul, faul, frech und faul.“

Ob der derart Gescholtene tatsächlich so tatenlos ist und ob es stimmt, dass er, wie er behauptet, sein Abstimmungsverhalten im Parlament weniger an der Sache als vielmehr am Wetter ausrichtet, mag dahingestellt sein. Doch frech ist er. Erfrischend frech. Sonneborn will in Brüssel mit den Mitteln der Satire Politik machen. Und natürlich dabei auch Spaß haben.

Fünf Minuten echte Arbeitszeit als EU-Parlamentarier sind immerhin dokumentiert und werden per Video-Clip eingespielt: Redebeiträge, in denen er über die Bombardierung Syriens spricht oder EU-Digital-Kommissar Günther Oettinger über das Recht auf Vergessen im Internet befragt, wobei er ein paar peinliche (und durchaus verdrängungswürdige) Details aus der Vita des Schwaben aufzählt.

Doch wie konnte es eigentlich so weit kommen, dass der Satiriker über das Fehlen der Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen ins Parlament einzieht und seitdem, wie er selbst sagt, durch bewusstes Verfahren zwischen Berlin, Brüssel und Straßburg vor allem Kilometergeld schindet? Vielleicht ist es eine besondere Art des Protestwählens: Die einen machen dumpfe Rechtspopulisten zu ihren Abgeordneten, die anderen pfiffige Spötter und zelebrieren damit letztendlich eine Art heitere Politikverdrossenheit. Schließlich stand auch unter dem TV-Wahlwerbespot der „Partei“: „Für den Inhalt der Spots sind ausschließlich die Parteien verantwortlich.“ Und gerade hier möchte man hinzufügen: die anderen.

Der „Partei“ und ihrem Bundesvorsitzenden Sonneborn geht es vor allem darum, Öffentlichkeit herzustellen. Im Frankfurter Hof berichtet der EU-Parlamentarier, der seine Erlebnisse in Brüssel in einem im März erscheinenden Buch schildert, unterhaltsam über die Anfänge der „Partei“ und wie die Satire – alle Vertreter tragen schlecht sitzende graue Anzüge für 49 Euro – irgendwann Realität wurde. Für die Europawahl am 26. Mai hat übrigens auch der Kabarettist und Kleinkunstpreisträger 2017 Nico Semsrott einen, wenn man so will, sicheren Listenplatz.

Nun mag man Martin Sonneborn vorwerfen, er mache sich einzig über die Politik und die Europäische Union lustig. Oder aber man begreift sein Tun als Aufforderung an die etablierten Politiker, ihr eigenes mehr zu reflektieren. Und darauf deutet die Begeisterung des Publikums – aufgrund der großen Nachfrage spielt Sonneborn am 9. April sein Programm „Krawall und Satire“ noch mal in Mainz – doch eher hin.

Auf Martin Sonneborns Homepage https://martinsonneborn.de sind unter anderem die erwähnten Videos zu sehen.

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