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Vogelattacken im ganzen Land

MAINZ (24. Januar 2015). Schauspieler verbindet man vor allem mit ihrem Äußeren, mit den Gesten und der Mimik, mit der sie Charaktere in Szene setzen. Das kann und muss natürlich von Fall zu Fall divergieren. Eigen ist allen, ob Held oder Schurke, die jeweilige Stimme als unverwechselbares Markenzeichen: das näselnde Nuscheln eines Till Schweiger, die hanseatische Kodderschnauze eines Jan Fedder, die kumpelhafte Jovialität eines Armin Rohde. Matthias Brandt hat ein eher leises Organ, das sich durch noble Zurückhaltung auszeichnet.

Diese Stimme empfiehlt sich somit perfekt für spannende Lesungen: Vor einem Jahr begeisterte der großartige Mime gemeinsam mit Musiker Jens Thomas das Mainzer Publikum mit „Psycho“, jetzt bekommt man es buchstäblich mit der Angst zu tun. Zwei Mal füllt Brandt den Frankfurter Hof bis auf den letzten Platz: Wegen der großen Nachfrage wurde am Nachmittag ein Zusatztermin angeboten. Allein, dass der Schauspieler es schafft, die eindringliche Lesung doppelt zu stemmen, ist bemerkenswert.

Denn das, was man hier hört, geht weit über den Vortrag einer Geschichte hinaus: Als Grundlage des Programms „Angst“ dient Daphne du Mauriers Erzählung „Die Vögel“, die Alfred Hitchcock 1963 so brillant verfilmte – das Kopfkino ist an diesem Abend mindestens ebenso spannend. Auch Edgar Allen Poes Rabe Nevermore findet Eingang in diese atemberaubende Textcollage.

Der Bewohner eines einsamen Haus an der Küste wird von aggressiven Vogelschwärmen attackiert. Und nicht nur hier, sondern im ganzen Land fallen Menschen den angriffslustigen Möwen und Krähen zum Opfer. Die fliegen jedoch nur bei Flut, bei Ebbe sitzen sie zu Tausenden herum und beäugen Robert, den tragischen Held, der am Schluss verletzt und zitternd wie Espenlaub auf das Scharren der Krallen und Schnäbel hört. Er weiß nicht, wie ihm geschieht – hat das Ganze etwas mit dem verletzten Vogel zu tun, den er mit einem Spaten von seinem Leiden erlöste? Ein Alptraum!

Die Worte, die Matthias Brandt rezitiert und mit denen er sein Auditorium mit Verve ins Geschehen hineinzieht, stehen dabei in einer faszinierenden Klangkulisse, die Jens Thomas am Flügel, mit Gitarre und Stimme baut. Dabei kriecht er zuweilen in den Bechstein hinein, lässt mit markerschütterndem Schrei das Blut in den Adern des Zuhörers frieren, der sich fast wegducken möchte, als die beiden Künstler das Flügelschlagen imitieren.

Tatsächlich beschleicht ihn ein ungutes Gefühl mit langen Schritten. Als Robert auf dem Dach weitere zum Schutz weitere Bretter vor die Luken nagelt, glaubt er am Horizont rettende Flugzeuge zu sehen. Aber ach: Es sind nur weitere Vogelschwärme! Das Gehörte wirkt auf jeden Fall nach.

Zwar wähnt sich das Publikum eigentlich sicher vor mordlustigem Gefieder, aber stand nicht vor Monaten in der Zeitung, dass ein Junge in Mainz von einer Krähe angegriffen wurde? An diesem Abend achtet man lieber instinktiv darauf, dass die Kater im Haus und alle Fenster auch wirklich verschlossen sind. Matthias Brandt und Jens Thomas können einen tatsächlich bange machen.

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