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Sternstunde der Satire

MAINZ (3. Mai 2024). Eine Staffelei mit der Mona Lisa, ein hochbeiniger Stuhl, ein Ding mit der sinnigen Aufschrift „Nicht begreifen“ – die Requisiten, die sich der Leipziger Kabarettist Meigl Hoffmann da auf die Bühne des kleinen Unterhauses gestellt hat, sollen einen offenbar in einen Musentempel versetzen. Und richtig: Zu den Tönen von Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ kommt auch schon Aufseher Manfred Sobotnik um die Ecke. Das Da-Vinci-Gemälde, informiert er, sei übrigens das Original: Im Louvre hätte es keinen mehr interessiert und nur noch als Selfie-Hintergrund gedient, weswegen man es nun im „Leipziger Bildermuseum“ sehen könne.

Sobotnik hat hier also die Aufsicht, was Meigl Hoffmann eine ausschweifende Draufsicht ermöglicht: auf die Kunst und die, die sie anschauen, die Gesellschaft und das, was sie aktuell umtreibt. Man lernt eine Skatrunde aus Ossis und Wessis kennen, folgt den Auf- und Abwärtsbewegungen der Weltgeschichte, begegnet Verschwörungstheoretikern – alles lebendig und ansprechend dargestellt von einem immer wieder sympathisch ins Publikum feixenden Kabarettisten, der es nicht nur glänzend unterhält, sondern auch zum Mitdenken auffordert, was intensive Momente der Einsicht beschert: Anstelle plakativ zu scherzen erlaubt sich diese Satire wohltuend zu hinterfragen.

Hoffmann ist hierbei extrem sprachverliebt und wortgewandt, so dass man lieber zuhört, als das eine oder andere Bonmot mitzuschreiben. Seine Auslassungen über den einst beruflich urinierenden Andy Warhol – der Künstler hatte Ende der 1970er auf ein Portrait seines Kollegen Jean-Michel Basquiat gepinkelt, was später für 40 Millionen Dollar versteigert wurde – gipfeln in einem grandiosen J’accuse des heutigen Kunstbetriebs, bei dem es nurmehr um materielle und nicht mehr um ideelle Werte gehe.

In der Rolle eines Physikers berechnet Hoffmann auch den Preis der Mona Lisa: vom Material her komme die nämlich gerade mal auf 50 Euro („plus Leonardos Arbeitsstunden“), während sie auf dem Markt eine halbe Billion Dollar erzielen könnte. Materielles Haben, ideelle Werte, virtuelle Währung – kein Wunder, dass Hoffmann im Chaos zu versinken droht. Doch genau hier findet er die Rettung, denn das Chaos, lässt er seinen Physiker dozieren, stehe auch für Kreativität, Wirken erschaffe Wirklichkeit und Realität Bewusstsein.

Anhand des Chaospendels, jenes anfangs erwähnte Ding, erläutert Hoffmann anschaulich die Quantentheorie. Und auch, wenn man auf die Schnelle natürlich nicht alles kapiert: Alles hängt mit allem zusammen und wir selbst sind mit verantwortlich für das Sein der Dinge. Oder einfacher ausgedrückt: „Ich kann eine Blume mit Wasser und Dünger gießen oder mit Salzsäure.“

Hoffmann übt geschliffen Regierungsschelte und unterzieht die repräsentative Demokratie einer empfindlichen Magenspiegelung: Geht es hier um mehr als nur um Macht, die vom Volke ausgeht, um mit den Politikern einen draufzumachen? „Macht macht besoffen und wir zahlen die Zeche.“ Aus der Sicht des kleinen Mannes betrachtet Hoffmann als Sobotnik die Eliten, die ja keine Erfindung der Querdenker sind: Als Einbrecher mit Wiener Schmäh klaut er die Mona Lisa und lässt ein geköpftes Duplikat zurück: „Merkt ja eh keiner.“

Apropos Querdenker: In der brillantesten Nummer des Abends tritt Meigl Hoffmann als Pegida-Schwurbler auf, der anhand eines Milch-Tetrapaks seine Verschwörungstheorien vom Stapel lässt. Das ist auf der einen Seite natürlich brüllend komisch, doch der Kabarettist führt derart gedankliche Abwege auf die wachsende Angst in der Gesellschaft zurück: „Sie macht aus dem Frontallappen einen Jammerlappen und sickert durchs limbische System, das unser Denkvermögen steuert, in den Hirnstamm, der nur noch reagiert.“

Der Künstler als Kabarettist und Kunstkritiker, als Physiker und Philosoph – Meigl Hoffmann zeigt in seinem aktuellen Programm derart viele Seiten, dass man nur noch staunen kann. Und alles, auch seine Liedbeiträge oder die stets passend montierten Witze, kommt mit Feingefühl und Treffsicherheit daher. Er wünsche sich für die Mitte einen Mittler, der die Oberen daran erinnert, dass sie eine Verantwortung für die Gesellschaft haben und die Gesellschaft daran, dass sie auch für sich selbst verantwortlich ist. Solche Sätze treffen frontal und wirken nach. Eine echte Entdeckung.

Die Nummer mit der Milchtüte ist hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=9OLiKOkaNsw

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