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Moralist mit ätzendem Witz

MAINZ – 30 Jahre – die golden umkränzte Zahl, die, noch alleine auf der Bühne, im Licht der Scheinwerfer glitzert, signalisiert: Es gibt etwas zu feiern. Doch wenn der „Laudator“ der Stunde Wilfried Schmickler heißt, weiß man, es gibt was hinter die Löffel – auch hinter die eigenen. Da beruhigt doch der Titel der aktuellen Retrospektive: „Es war nicht alles schlecht!“

Drei Jahrzehnte – eigenes – Kabarett werden hier beleuchtet. Und damit auch 30 Jahre Geschichte, denn diese hat der Herr der ratternden Reime und ambitionierten Alliterationen seit jeher mit kritischem Blick begleitet. Solistisch, als Teil des legendären „3Gestirns“ oder Partner von Jürgen Becker in den „Mitternachtsspitzen“ des WDR, in denen der Leverkusener auch seine mimische Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt, indem er „Uli aus Deppendorf“, Loki Schmidt oder den Rheinland-Proll gibt.

Finale Höhepunkte dieser Sendungen sind aber stets die Tiraden Schmicklers, in denen er mit moralischem Zeigefinger zornig in den offenen Wunden der Aktualität herumstochert. Und das durfte das Unterhaus-Publikum ebenfalls erleben und genießen, zumal Schmickler auf das telegene Bellen verzichtete und seine Sticheleien mit sonorem Rheinisch vortrug.

Da geht es gegen Westerwelle, „diesen Klingelton für Besserverdienende“ und in einem Atemzug rattert der amtierende Kleinkunstpreisträger eine Tirade auf Politik und Papst, Bahn und Bohlen, Wirtschaft und den deutschen Wald herunter: Schmickler steckt sie alle in einen Sack und darf sich so sicher sein, immer auch den richtigen zu treffen.

Gelegentlich stößt einem die Moralinsäure etwas auf, wenn er in jedem erfolg- oder sonstwie reichen einen geistigen Sarrazin vermutet. Doch die Stromlinienform war noch nie Schmicklers Markenzeichen und Anecken ist sein Steckenpferd. Wie im Best of-Programm seines Kollegen Volker Pispers beweisen auch hier „ältere“ Nummern erschreckende Realität. Sein apokalyptisches Bild der Gegenwart und sein spöttisches Ätzen gegen die Politik garniert Schmickler stets mit entwaffnender Logik: „Was erwarten wir von einem Volksvertreter? Ein Schnürsenkelvertreter macht doch auch nicht, was die Schnürsenkel wollen…“

Und dann holt Wilfried Schmickler zur grandiosen Ohrfeige aus: Mit dem Erzählen von eher „harmlosen“ Ausländerwitzen lotet er ganz nebenbei die Ressentiments selbst in einem Kabarettpublikum aus, um den vermeintlich Fremden zuzurufen: „Haut ab – und zwar alle!“ Keine zwei Wochen später würden die Deutschen die Verjagten händeringend anflehen zurückzukommen: „Denn dann haben sie das Problem, von dem sie denken, sie hätten es jetzt schon!“

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