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Einmal Depression und zurück

MAINZ (26. November 2014). Kabarett soll unterhalten und zum Nachdenken anregen. Dass dabei nicht nur geschmunzelt, sondern auch von Herzen gelacht werden darf und soll, adelt es, muss eine nüchterne Erkenntnis doch zuweilen über das Zwerchfell kompensiert werden.

Manche Kleinkünstler lassen lieber lachen, darunter zwei frisch gekürte Kleinkunstpreisträger: Matthias Egersdörfer redet sich in Rage und greift das Publikum zuweilen harsch an und auch Gerd Dudenhöffer hat die Gesichtszüge seiner Kunstfigur Heinz Becker so fest im Griff, dass dieser nicht einmal lächelt.

Ganz so beherrscht ist Nico Semsrott nicht und die Strafe folgt auf dem Fuße: Für jedes Schmunzeln, das dem Hanseaten während seines Auftritts über das Antlitz huscht, hat er sich selbst eine kostenpflichtige Buße auferlegt: Fünf Euro spenden. Und damit er bei der Sühne kein gutes Gewissen hat, geht das Geld an die Junge Union. 30 Euro muss Semsrott an diesem Abend berappen – ansonsten hat er nichts zu lachen.

Denn dieser Künstler hat das Scheitern zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Die aber erfüllt er mit Bravour, womit er sich in einen bizarren Teufelskreis begibt: Versagt er, macht er etwas richtig. Und macht er etwas falsch, scheitert er, macht mithin also wieder alles richtig respektive falsch. Sein Ziel wird also stets erfüllt und dadurch wiederum verfehlt. Dass man sich vor diesem Hintergrund zu keiner mimischen Glanzleistung aufraffen kann, ist klar. Doch der tieftraurige Blick, mit dem Semsrott den Abend gestaltet, ist schon eine kleine schauspielerische Glanzleistung für sich.

Wie er mit dieser Einstellung einen Abend füllen kann, erlebt das Publikum im Unterhaus in kurzweiligen anderthalb Stunden: „Freude ist nur ein Mangel an Information“ lautet der Titel des Programms – allein schon für einen solchen Satz möchte man niederknien. Die Weltwirtschaft kriselt, aber noch gibt es keine große Depression. Also pflegt Semsrott die seine im Kleinen, das aber mit Akribie. Der Druck der täglichen Entscheidungen, die angebliche Alternativlosigkeit des kapitalistischen Systems, der gesellschaftliche Zwang zum gut gelaunten Optimismus, all das überfordert diesen Leistungsverweigerer.

Linkisch wie ein schlecht vorbereiteter Pennäler steht Semsrott vor seinem Publikum und referiert mit monoton-schwacher Stimme und Powerpoint-Unterstützung: Warum gehen Diskussionen immer schief? Warum ist RTL II bildungsfernes Sehen und kein Bildungsfernsehen? Warum hat man trotz Demokratie nie eine freie Wahl? Folgt man den Ausführungen dieses jungen Mannes, der sich die Kapuze seines Pullovers immer wieder verschüchtert ins Gesicht zieht, fühlt man sich wie die Ratte zu Hameln: Doch statt des Flötenspielers reißt einen ein Kabarettist mit. Und statt in den Fluss geht es geradewegs in die Sinnkrise.

Denn Nico Semsrott will mehr als oberflächlich unterhalten, nutzt die melancholische Rahmenhandlung zur Platzierung wichtiger Botschaften: Mit leisem, aber dafür umso eindringlicherem Ton benennt er die Schwachpunkte, die ihn der Depression in die Arme treiben. Die ewig gleichen Argumente, die jeden Widerspruch im Keim erstickten. Immer gehe es um die Rettung oder Gefährdung von Arbeitsplätzen: „Wie viele Arbeitsplätze sind eine Menschenrechtsverletzung wert?“ In einer Leistungsgesellschaft wie der unseren sind solch ehrliche Fragen selten.

Semsrott geht es um die Verantwortung, die echte, nicht die plakative, die vorgibt, dass an alle gedacht sei, wenn jeder nur an sich denke. Das traurige Schlusswort wird zum fulminanten Plädoyer, Augen und Ohren aufzuhalten, wenn Deutschlands Wirtschaftswachstum auch auf Waffenexport und Ausbeutung in fremden Länder beruht: „Keiner kann später sagen, er hätte nichts gewusst.“ Das sitzt.

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