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Bittere Wahrheiten

MAINZ (23. November 2016). „Wo geht man rein, lässt unheimlich viel Geld da und kommt mit einem guten Gefühl wieder raus?“ Der Satz ist kaum gesprochen, da schallt dem Kabarettisten Philip Simon entgegen: „Unterhaus!“ Eigentlich wollte er ja Bio-Supermarkt sagen, um zum nächsten Thema überzuleiten, doch jetzt muss auch er lachen. Und das tut gut, denn im ersten Teil seines Programms „Anarchophobie“ war einem danach weniger zumute, denn Simon hat Angst: vor Spinnern.

Zu Beginn skandiert er: „Wir sind das Volk! Merkel muss weg! Grenzen zu! Lügenpresse!“ Und nach einer kurzen Pause: „Selbst-mit-leid!“ Das sitzt und ist, gesanglich von Ava Maude unterstützt, die gelungene Ouvertüre einer intelligenten Rede gegen besorgte Bürger, die sich ihre Sorgen selbst machten. Unbequeme Wahrheiten, ja doch – aber eben Wahrheiten: Nach der Kölner Silvesternach sei der soziale Aufschrei viel größer gewesen als bei jeder brennenden Asylantenunterkunft, Wahnvorstellungen würden plötzlich zu politischen Handlungen und Moslems wegen ihres „steinzeitlichen Frauenbildes“ verpönt: „Aber wir haben den ‚Bachelor‘ und ‚Germany’s next Top-Model‘.“

Das ruhige Spiel des gebürtigen Niederländers, der seinen Akzent mittlerweile fast vollständig abgelegt hat, schildert zuweilen peinliche Tatsachen mit kluger Nonchalance und überlässt es dem Zuhörer, ob man diese scheinbare Resignation teilen möchte. Zum Flüchtlingsthema, das keinesfalls unbemerkt aufgekommen sei, benennt Simon die Probleme als hausgemacht: „Alle flüchten: Wir von den teuren in die billigen Läden, die Wirtschaft ins Ausland. Und die nächsten Flüchtlinge kommen bestimmt. Woher? Schauen Sie heute Abend mal auf’s Etikett Ihrer Kleidung.“ Selber schuld, wer sein Mittagessen auf Facebook poste: „Das kriegen die doch mit.“

Doch Simon ist auch Realist: „Was labere ich hier eigentlich: Sie wissen, was los ist. Und Sie wissen auch, wie es sein sollte. Und Sie haben die Kohle dazu“, sagt er: „Und wenn Sie jetzt aufstöhnen, dass wieder das linke Gesabbel kommt: Was ist denn die Alternative?“ Oder fehle letztendlich der Wille, etwas zum Guten zu verändern? „Ein aufgeklärter und gut ausgebildeter Flüchtling ist nicht verführbar.“ Wer Integration fordere, müsse dies auch ermöglichen und nicht durch Gesetze behindern.

Manchmal ist der Applaus, der nach solchen Einsichten laut und deutlich einsetzt, auch beruhigend – hoffentlich auch für den „Anarchophobiker“ Simon. Zündelnde CSU-Politiker, die EU und die Lobbyisten, das im Bio-Supermarkt oder bei Erdogan gekaufte gute Gewissen – es gibt sicherlich genug Grund, sich an den Kopf zu fassen. Doch der Kabarettist belässt es nicht dabei, sondern wünscht sich Menschen, die an Visionen glauben. Gerade wer sich in einer alternativlosen Situation wähnt, sollte Menschen wie Philip Simon zuhören. Das erdet ungemein.

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