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„Sag nicht Kleinkunst!“

BERLIN (25. November 2023). Sucht man nach Büchern mit dem Wort Kleinkunst im Titel, ist die Ausbeute dürftig: Neben einer Lernanleitung zum Feuer- und Schwertschlucken von Patrick Fongers und der Mitte November erschienenen Autobiografie des Unterhaus-Gründers Ce-eff Krüger gibt es noch einen Roman von Thomas Pigor: „La Groete“. Auf dessen Umschlag steht in roten Buchstaben das Postulat: „Sag nicht Kleinkunst!“ Warum, erfährt man ab Seite 85.

Der Sänger und Dichter des legendären Salon-Hiphop-Duos Pigor & Eichhorn erzählt hierin eine rasante Geschichte, die den Leser ins Berlin und die Kleinkunstszene der 1990er-Jahre katapultiert: Der Teufel will einen Pakt alter Schule abschließen und verspricht dem Chansonnier La Groete im Tausch gegen seine Seele den Deutschen Kleinkunstpreis. Allerdings hat er eine Gegenspielerin: die Kulturbeauftragte einer Krankenkasse.

Schon das Cover deutet an, dass es sich hier nicht um einen üblichen Roman handelt: Das auf Hochglanzpapier gedruckte Softcover zählt 272 Seiten, wiegt jedoch satte 965 Gramm und eignet sich daher nur bedingt für längere Bettlektüre in Rückenlage. Verschiedene Schrifttypen, Fußnoten, wechselndes Layout und großformatige Bilder sowie der Wechsel der Erzählerperspektiven, Traumsequenzen, Theaterszenen, Tabellen, Zitate oder Lyrik stellen durchaus eine Herausforderung an den Leser dar. Doch der wird belohnt, taucht er doch in eine Szenerie, die er als Kabarettbesucher nur aus der Sicht des Publikums kennt. Erzählt wird die Genese eines Kleinkünstlers bis zum Ritterschlag durch den Deutschen Kleinkunstpreis. So zumindest empfand es Pigor, als er ihn 1999 zusammen mit Benedikt Eichhorn in der Sparte Musik & Chanson bekam.

Apropos: Am Begriff Kleinkunst reibt sich der Autor und führt dies auf sechs Seiten nachvollziehbar aus – nur einer von verschiedenen Exkursen, die wie wechselnde Scheinwerfereinstellungen die Szene und ihre Szenerie beleuchten. Man erfährt vom Touralltag und seinen Strapazen, den Schwierigkeiten, Beziehungen zu pflegen, wenn man von Bühne zu Bühne reist, Probleme mit der Technik, Gespräche nach der Vorstellung, Unterbringung und Verpflegung – einen derart tiefen Einblick in das Kleinkunst-Genre hat es noch nicht gegeben.

Auch wenn über allem ein ironischer Film liegt, bekommt der Leser ein konturenreiches Bild vom Innen- und Außenleben der Kleinkünstler. Selbst das Husten im Publikum ist Thema einer Fußnote. Das Buch ist jedoch, darauf legt Pigor Wert, kein autobiographischer Roman (und wer ihn danach fragt, steht schon auf Seite 3, muss einen Euro Strafe zahlen). Kennt man den Chansonnier und seinen brillanten Pianisten, kommt man natürlich nicht umhin, nach Parallelen zu suchen. Man stößt auf Lieder der beiden, mit denen (auch) La Groete und Jakob am Klavier Erfolge feiern. Ähnlichkeiten finden sich jedoch vor allem im Milieu, in denen sich die Romanhelden und Künstler gleichermaßen bewegen. Und natürlich speist sich die Erzählung aus unzähligen eigenen Erfahrungen.

Pigor hatte sein Buchprojekt bereits vor 20 Jahren begonnen und das in traditioneller Form. Doch Testleser fühlten sich von der Menge der Blickpunkte und Informationen eher überfordert. Als die Kollegin Anna Mateur, die 2008 ebenfalls den Deutschen Kleinkunstpreis erhielt, das Manuskript las, inspirierte sie Pigor zum Aufbrechen der Form und bot die Illustration des Buches an, was sie dann zusammen mit Burkhard Neie, der unter anderem für die Verlage Suhrkamp, Insel und Hanser arbeitet, in die Tat umsetzte.

Das Lesen dieser optischen und inhaltlichen Vielfalt wird nicht zuletzt durch die sprachliche Brillanz rasch zum Vergnügen und die durchweg informativen, kommentierenden oder auch bissigen 250 Fußnoten stören den Lesefluss kaum – im Gegenteil: Bald schon freut man sich auf die nächste Randbemerkung. Da Pigor nicht nur Chansons dichtet und singt, sondern auch als Theaterautor und Komponist wirkt, zieht er im Spiel mit der Form sämtliche Register seines Könnens. Sein Pianist Benedikt Eichhorn, der laut Autor weiß, wie es wirklich war, ließ ihm dabei freie Hand und meinte lakonisch: „Mach mal. Fällt sowieso alles auf dich zurück.“

Natürlich hat nur La Groete seine Seele für den Kleinkunstpreis verkauft. Aber der ist für Pigor eben nicht alles: Realiter verausgabt sich der Sänger für sein Publikum mit Haut und Haaren und ja: auch mit Leib und Seele. Allerdings verliert er dabei nichts, sondern gewinnt: die Herzen derer, die ihm und Eichhorn zuhören – und sicher auch die der Leser von „La Groete“.

Thomas Pigor: „La Groete. Sag nicht Kleinkunst!“, 272 Seiten mit Illustrationen und Grafiken von Anna Mateur und Burkhard Neie, Verlag Bärmeier & Nikel, ISBN: 978-3-9821705-2-7, 30 Euro

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