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Prickelnder Pointen-Cocktail

MAINZ (8. November 2024). Tilman Birr kannte man bislang als eine Hälfte des Duos „Welthits auf hessisch“ und als Autor einer skurrilen Standortbestimmung der deutschen Gegenwart („Zum Leben ist es schön, aber ich würde da ungern auf Besuch hinfahren“), pointierter Erlebnisse eines Reiseführers („On the left you see se Siegessäule“) und des Romans „Wie sind Sie hier reingekommen“, einer Hommage an den großen Loriot. Fehlt noch das Soloprogramm auf der Kabarettbühne, das der gebürtige Frankfurter jetzt im Unterhaus mit dem prickelnden Titel „Birr Royal“ präsentierte.

Dass Tilman Birrs trockener Humor Zähne hat, kennt man schon aus seinen Büchern. Auf der Bühne überzeugt der Künstler durch eine geschickte Komposition von Liedern am Klavier und Textbeiträgen, die eine genaue Beobachtungsgabe mit gekonntem Hang zur leichten Übertreibung dokumentieren. Doch wer sich kurz fragt, ob Birr nicht zu sehr überspitzt, muss bald einsehen: Der Mann hat fast immer Recht. Und gerne lacht man seine Bedenken weg.

Allein schon das erste Lied setzt eine brillante Duftmarke: Birr singt Sätze, die zwar deutsch klingen, aber nicht deutsch sind, in denen also Verständnis für Verspätungen der Deutschen Bahn geäußert, der Besitz von Tupperware geleugnet oder ein Fehler eingeräumt wird. Da hat einer lange und genau hingeschaut und sich auf das, was ihm ins Auge sticht, seinen Reim gemacht. Hinhören lohnt sich, Lachen darüber sowieso, aber Nachdenken auch.

Birr bringt also alles mit, was ein guter Kabarettist können muss. Immer wieder packt er das Auditorium am geistigen Schlafittchen und schüttelt es zwischen Leidensgenossen- und Täterschaft hin und her, auch wenn man sich nicht unbedingt zu den Konsumenten hartgekochter Eier im Regionalexpress zählt. Aber das Lamento über die Kundenorientierung im öffentlichen Dienst unterschreibt man spätestens seit dem jüngsten Schriftwechsel mit der Mainzer Bußgeldstelle nur zu gerne.

Tilman Birr schneidet seine Themen mit dem Skalpell an oder touchiert sie auch nur, das aber mit Schmackes, wenn er Homophobie aufgreift, die Erotik eines Schnitzelbrötchens beschreibt oder anhand eines einstmals lokalen Brezelbäckers die kulinarische Zurechnungsfähigkeit breiter Massen in Frage stellt. Haben die Inuit zig Wörter für Schnee, trumpfen wir in Deutschland mit ebenso vielen Synonymen für Saufen auf: Treffen mit Freunden, Vernissage, Grillen oder Netzwerken.

Birr schwingt sich sportlich auf, um auf das Treiben um ihn herum mit gelassenem Blick von oben herabzuschauen, auch wenn ihn stets ein prophylaktisches Wütendwerden reizt. Zwischen FKK-Erinnerungen („Hautfalten-Mobilé“), Visionen von riesigen trunkenen Eichhörnchen auf dem Weg zu einem Berliner Pfandautomaten, deutschen Unarten wie das geizige getrennte Bezahlen oder dem ewigen Kampf zwischen Rechtschreibung und Gastronomieofferten erklingen schöne Lieder, darunter die Zugabe eines „Welthits auf hessisch“ als Solonummer, nämlich Billy Joels „Der Klavierspieler“. Davon könnte es gerne noch mehr geben: vielleicht auch dialektal transkribierte Jazz-Klassiker?

An diesem Abend hat sich einer bei vielen Themen mal so richtig Luft gemacht und das Publikum zog gerne mit. Fazit: Der „Birr Royal“ hat auf jeden Fall supergut geschmeckt und erwies sich als bis zuletzt prickelnder Pointen-Cocktail. Gerne noch einen davon. Und bitte keine getrennte Rechnung.

Hier kann man Tilman Birrs Nummer „Deutscher Satz“ hören: https://www.youtube.com/watch?v=HhwtujRCOvU&pp=ygUMVGlsbG1hbiBCaXJy .

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